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Archiv-Artikel

„Sie wissen, was wir leisten“

Die Hierarchie in deutschen Krankenhäusern gilt als starr. Seitdem die Ärzte vom Marburger Bund vertreten werden, streikt man nicht einmal mehr gemeinsam. Ein Gespräch mit der Hamburger Krankenpflegerin Elke B.

aufgezeichnetvon FRIEDERIKE GRÄFF

In der Vergangenheit war ich froh, dass ich in Hamburg arbeiten konnte, weil hier viel dafür getan wurde, Gleichheit zwischen Ärzten und Pflegenden zu schaffen. Das Direktorium in den Kliniken ist aufgeteilt in ein pflegerisches, ein kaufmännisches und ein ärztliches. Da sieht man an der obersten Hierarchieebene, dass auf Gleichheit geachtet wurde. Genau das wird jetzt in Frage gestellt.

Natürlich liegt immer viel am Auftreten der Personen: Es wird immer nur das mit einem gemacht, was man mit sich machen lässt. Auf der Intermedicare-Station und der Intensivstation, auf denen ich arbeite, ist das Selbstbewusstsein bei den Pflegenden sicher ein bisschen größer als auf den anderen Stationen. Man braucht sich gegenseitig und man signalisiert sich, dass man sich schätzt.

Als Berufsanfängerin habe ich im Universitätskrankenhaus Eppendorf gearbeitet – da fand ich die Hierarchie mit am schlimmsten. Als ich mit meiner Ausbildung angefangen habe, war ich 19 und wurde 20, da ist man nicht mehr ganz jung. Ich glaube, die Auszubildenden die heute anfangen, mit 17 Jahren, haben es schwerer: Sie werden mit vielen Sachen konfrontiert, die ich schon gesehen hatte. Ich habe bei der Pflege meines krebskranken Großvaters geholfen, der im Sterben lag, und dabei habe ich gemerkt, dass ich mit Tod umgehen kann. Das ist in der Pflege ganz wichtig. Und man muss mit dem Zeitmangel zurechtkommen: Auf unserer Intermedicare-Station mit 16 Betten haben wir seit Jahresbeginn fast 1.400 Patienten durchgeschoben. Früher lagen die Patienten im Schnitt drei, vier Wochen in der Klinik, heute sind es sieben bis acht Tage.

Es gab eine sehr gute Zeit für die Pflege, als das Personal an Bedarfen und am Budget gemessen wurde. Jetzt wird immer von zu viel Personal im Krankenhausbetrieb geredet. Auch in unserem Haus haben wir jetzt seit mehreren Jahren einen Übernahmestopp für die Auszubildenden. Aber das rächt sich: Ich glaube, dass der Pflegenotstand wieder kommen wird, weil man eben nicht visionär denkt.

Ich habe im Universitätskrankenhaus auch noch in der Onkologie gearbeitet, da war das auch ein bisschen anders: Viele Menschen sind dort in einem Sterbeprozess, die Belastung ist für Pflegende und Ärzte gleich. Aber die Hierarchie war doch immer spürbar. Das macht sich an Kleinigkeiten bemerkbar: Grüßt jemand, der auf die Station kommt? Es gibt welche, die kommen ins Schwesternzimmer und sagen: „Hallo, ich bin da. Gibt es noch irgend etwas?“, und es gibt Ärzte, die nur zack zu ihren Patienten laufen oder nur meckern, warum dies und jenes nicht gelaufen sei. Mir sind durchaus auch Ärzte begegnet, die sehr klar machten: Ich bin etwas Besseres. Aber wir hatten eine starke Stationsleitung, die uns sehr den Rücken gestärkt hat und die sich bewusst in Konflikte eingemischt hat.

Und man darf nicht vergessen: Die Fluktuation hat auch bei den Ärzten stark zugenommen. Ich habe viel mehr jüngere Ärzte auf meiner Station und die sind schon anders drauf. Die fragen eher: Wie macht ihr das? Bei uns wollen wir auch wieder regelmäßige Teamgespräche gemeinsam mit den Ärzten einführen und wir haben eine Meckerbox.

Was für uns noch wichtig ist: Der Arbeitgeber muss davon erfahren, wenn wir überlastet sind. Da haben wir auch einen Auftrag. Denn natürlich merken wir die Personaleinsparungen. Wir haben häufig verwirrte Patienten aus Heimen, die gestürzt sind und überwacht werden müssen. Dann haben wir Alkoholiker, die im Delir sind und Patienten, die einen Suizidversuch hinter sich haben und die wir überwachen müssen, weil sie weiterhin gefährdet sind. Wir haben Patienten, die plötzlich lebensbedrohliches Darm- oder Magenbluten haben, weil sie künstliche Blutungsmittel bekommen. Nachts gibt es keinen Aufwachraum, das heißt, die Patienten kommen nach der Operation zu uns. Auf Intensivstation sind wir für den Notruf innerhalb des Hauses zuständig. Und dann sind wir nur noch drei Pflegekräfte und ein Arzt mit 24 und manchmal 28 Patienten.

Seitdem die Ärzte statt von ver.di vom Marburger Bund vertreten werden, ist für mich die auffälligste Veränderung: Früher haben wir zusammen gestreikt, nachdem der Marburger Bund die Tarifgemeinschaft mit ver.di gekündigt hat, machen wir das getrennt. Es gibt natürlich auch Ärzte, die bei ver.di sind und mit uns streiken, aber das ist eher die Minderheit. Man darf auch nicht vergessen: Ärzte waren jahrzehntelang höchst unpolitisch. Das die jetzt mal aufstehen, finde ich im Prinzip immer gut. Deswegen bin ich ja selbst Gewerkschaftsmitglied. Gerade im Gesundheitsbereich wurde wirklich viel gekürzt und ein ganz schöner Druck aufgebaut. Was ich gut fände, wäre aber, zusammen ein Ziel zu erreichen.

Das hat nicht geklappt und darüber habe ich viel mit unseren Ärzten diskutiert: Sie sollten mir erklären, warum sie jetzt ihr eigenes Ding machten. Das Hauptargument war das Geld, zum Beispiel dass ihre Berufsanfänger zu wenig verdienten. Ich habe dann gefragt: „Was wisst ihr vom neuen Tarif, den ver.di ausgehandelt hat?“, und habe festgestellt: Die Ärzte haben sich damit nicht auseinander gesetzt. Sie wissen gar nicht, dass alle Ärzte, die seit 2003 eingestellt worden sind, kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld bekommen haben und dass sie das nach dem von ver.di ausgehandelten Vertrag jetzt wieder über die Monate aufgeteilt bekämen.

Ich denke auch, dass die Ärzte jahrelang mit sich Schindluder haben treiben lassen, wo ich mir sage: Da haben wir in der Pflege schon ganz klare Strukturen gehabt. Ich habe damals als Personalratsvorsitzende darum gekämpft, dass auch die Ärzte einen Dienstplan bekommen, wo ihre Dienstzeit mit den Überstunden wirklich eingetragen wird. Aber es war immer so, dass die Chefärzte willkürlich diese Stunden wegstreichen konnten. Und an bestimmten Kliniken trauen sich Ärzte mit befristeten Verträgen immer noch nicht, für ihre Rechte einzustehen, weil sie dann sofort draußen sind.

Wir Vollzeitpflegekräfte verdienen durchschnittlich 1.600 Euro netto. Das finde ich nicht angemessen bei der Verantwortung, die wir tragen. Gleichzeitig finde ich die Forderungen der Ärzte nach mehr Gehalt gerechtfertigt. Das Problem ist, dass uns unser Arbeitgeber, der aus dem Tarifverband ausgetreten ist, rund 17 Prozent vom Gehalt abziehen will. Während die Ärzte mehr verdienen sollen. Für unseren Arbeitgeber gilt nur noch der Kaufmann und der Arzt.

Bei unserem Warnstreik haben die Ärzte uns schon unterstützt. Denn sie wollen diese Schere nicht auftun. Sie haben an dem Tag nicht operiert, nur Stationsdienste gemacht, Arztbriefe geschrieben oder ambulante Patienten betreut. Denn sie wissen, was wir leisten, das Gefühl habe ich auf jeden Fall.