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Archiv-Artikel

Witzig und mit Format

Die Holländer lieben auf einmal die Deutschen. Sie sind nicht mehr alter Rivale, sondern freundlicher Nachbar. Viele gönnen uns sogar den Titel, sollte Holland nicht Fußball-Weltmeister werden

AUS ZWOLLE BEHNAM SAID

Ob Autos, Häuser, ganze Straßenzüge oder Wohnwagen – Oranje ist überall. Fast alles, was sichtbar ist, wird in der holländischen Nationalfarbe überlackiert, geschmückt und behängt.

Auch den Menschen ist ihre Begeisterung für das heimische Team anzusehen. Orangefarbene T-Shirts, Hüte und Schminke verleihen dem Straßenbild WM-Flair pur. Praktisch jede kleine und große Firma hat ein eigenes WM-Angebot. Viele Geschäfte haben ihr Personal komplett in Oranje eingekleidet. Der Filialleiter einer Supermarktkette erklärte in der Lokalzeitung de Peperbus, dass er eine Umsatzsteigerung zwischen 15 und 20 Prozent erwarte, vor allem bei Chips und Bier. Ansonsten gilt: Alles, was Oranje ist, wird verkauft.

Der holländische Einzelhandelsverband RND rechnet mit einer WM-bedingten Umsatzsteigerung von etwa 135 Millionen Euro. Man könnte aufgrund der guten Stimmung fast meinen, die WM würde nicht in Deutschland stattfinden, sondern hier.

Die oft zitierte und von den Medien zelebrierte „Fanfeindschaft“ zwischen Holland und Deutschland scheint dabei derzeit keine Rolle zu spielen. Im Gegenteil: Es ist eine sehr entspannte Haltung zum Gastgeberland auszumachen. So hat der holländische Ableger des Musikkanals MTV bereits eine deutsch-holländische Fanfreundschaft ausgerufen. Auch belegt nun eine aktuelle Studie der Wochenzeitschrift Intermediair diese Stimmungslage: Die Frage „Wem würden Sie den Weltmeistertitel gönnen, sollte Holland nicht Weltmeister werden“, beantworteten die meisten Befragten zwar mit Brasilien. Aber bereits an fünfter Position folgte Deutschland. Nur Argentinien, England und Australien konnten höhere Sympathiewerte für sich verbuchen.

Insgesamt wird die Weltmeisterschaft in Deutschland bisher positiv aufgenommen. Dabei hat sich nicht nur die Stimmung gegenüber dem Ereignis Weltmeisterschaft, sondern auch gegenüber dem großen, oft misstrauisch beäugten Nachbarn gebessert. Die Studie von Intermediair belegt, dass Deutschland nun nicht mehr als der „alte Feind“, sondern als der „freundliche Nachbar“ wahrgenommen wird. Noch 1997 hatte eine ähnliche Studie vor allem bei jüngeren Holländern ein deutlich negatives Image von Deutschland festgestellt.

Diese neue Stimmung in Holland resultiert offenbar aus unterschiedlichen Faktoren. So arbeiten immer mehr Holländer in Deutschland – eine Folge des oftmals höheren Lohnanreizes. Im Vergleich zu den Niederlanden lässt sich Intermediair zufolge „drüben“ 10 bis 15 Prozent mehr Gehalt verdienen. Zudem ist gerade für die holländische Elite Deutschland ein beliebtes Auswanderungsland. Die Erfahrungen holländischer Direktoren und Manager beeinflussen dann, transportiert durch die Medien, die öffentliche Wahrnehmung in den Niederlanden.

Aber auch Studenten zieht es nach Deutschland. Aziz Rahimi studiert Jura in Hamburg. Vor drei Jahren kam er aus Holland in die Hansestadt. Seither hat er sein Bild von Deutschland deutlich revidiert. „Meine Vorstellung von Deutschland war von der Nazi-Vergangenheit geprägt. Aber ich lernte ein offenes und meist tolerantes Land kennen.“ Außerdem schätze er das Sozialsystem und die höheren Löhne.

Acht Gründe, Deutschland zu mögen, veröffentlichte jüngst dann auch die Wochenzeitung Intermediair. Darunter: „Deutsche Städte haben Format“ und „die Deutschen sind witzig“.

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