Mutter Europas neugeborene Kinder

THEATER Im HAU 2 verwandelt das Wiener Performancekollektiv God’s Entertainment die Theaterbühne in einen Arbeitsstrich. In „Cleaning, babysitting, I help in the house – 7 Euro“ wird fleißig geputzt, gestrichen und gespachtelt – und dazu getanzt

Es riecht nach frischem Beton und dem Zigarettenqualm der Bauarbeiter

Die Bühne ist eine Baustelle: Mehrere Männer schütten Sand in eine Mischmaschine, andere bearbeiten herumliegende Blöcke aus weißem Granit mit Hammer und Meißel, ein asiatisch aussehender Mann tapeziert ein NPD-Plakat mit dem Slogan „Heimkehr statt Einreise“ an eine Wand. Im Hintergrund steht ein Holzgerüst, auf dem Videobilder von den im Flur aufgereihten Menschen unterschiedlicher Ethnien zu sehen sind, die einen zuvor noch auf dem Weg zur Bühne im HAU 2 am Mittwochabend bei der Premiere des neuen Stücks des Wiener Performancekollektivs God’s Entertainment freundlich gegrüßt haben. „Kannst du putzen? Hast du eine Arbeitserlaubnis?“, werden sie gefragt, bevor der Ton herablassender wird: „Ich zahle dir 2,50 Euro, okay?“ „Okay“, antwortet jemand halb entschlossen und schiebt hinterher: „Für 3 Euro ich machen alles.“

Es ist ein Dialog, wie er zu diesem Zeitpunkt auch genauso auf einem Arbeitsstrich in einer beliebigen deutschen Großstadt stattfinden könnte. Denn seitdem die Einreisehürden für EU-Bürger gefallen sind, drängen immer mehr Menschen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Doch für viele Arbeitsmigranten verwandeln sich die Hoffnungen schnell in eine Illusion. Offizielle Jobs sind besonders für Geringqualifizierte rar, viele sind hier illegal und werden schlecht oder gar nicht bezahlt.

Aktuelle gesellschaftspolitische Themen auf die Bühne zu bringen, ist für das Wiener Performancekollektiv das Leitmotiv. Ganz in der Tradition des sozialkritischen Volkstheaters stehen bei „Cleaning, babysitting, I help in the house – 7 Euro“, dem neuen Stück von God’s Entertainment, 20 Laiendarsteller aus 15 Staaten auf der Bühne.

Dort herrscht mittlerweile Partystimmung. Vor einer mit frischem Obst bedeckten Tafel wird ausgelassen zu rhythmischer Musik getanzt. In abwechselnden Konstellationen halten zwei Darsteller am jeweiligen Ende ein Seidenband in unterschiedlichen Nationalfarben fest, bevor ein Dritter es mit einer Schere durchtrennt. Die Baustelle Europa ist eröffnet. Dass das erste Band rumänische Farben hat, ist sicher kein Zufall. Denn wenn ab Januar 2014 auch für alle RumänInnen und BulgarInnen die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU gilt, werden einer Studie des Instituts für Arbeitsmarktforschung zufolge 2014 bis zu 180.000 Südosteuropäer einwandern.

Plötzlich ist die Party vorbei. Die Arbeiter gehen zurück zu ihren Arbeitsplätzen und verlieren sich in der Monotonie ihrer Aufgaben. Es wird geflext, geschweißt und gehämmert. Das Publikum wird zu einer „Baustellenführung“ gebeten und damit Teil des Geschehens. Auf der Leinwand, auf der die vom allgemeinen Lärm übertönten Worte des Vorarbeiters zu lesen sind, stehen Sätze wie: „Auf der Bühne wird jeder ästhetische Vorgang sofort aufgebraucht, weshalb ständig für Nachschub gesorgt werden muss.“

Die Gleichzeitigkeit der immer hektischeren Bewegungen, der krachige Klangteppich und die ständig zwischen Manifestartigem und Alltagsgesprächen changierenden Textfragmente führen zu einer temporären Reizüberflutung. In etwa so muss sich ein Arbeitsmigrant fühlen, der auf einer Großbaustelle in einem fremden Land weder die Arbeitsabläufe kennt noch die Sprache des Landes beherrscht.

Das pausenlose Werken hat inzwischen viel Staub aufgewirbelt. Es riecht nach frischem Beton und dem Zigarettenqualm der mittlerweile pausierenden BauarbeiterInnen. Ein auf dem Gerüst stehender Mann spricht in ein Mikrofon: „Mutter Europa kümmert sich um ihre neugeborenen Kinder.“ Ein Satz, der die perfide Wirklichkeit der menschenunwürdigen Arbeitsmarktsituation, bei der deutsche Unternehmer ausländische Arbeitnehmer immer öfter zu Dumpingpreisen „einkaufen“, passend ironisiert.

Damit gelingt es dem Kollektiv, das der alte HAU-Chef Matthias Lilienthal mal als „Zerrspiegel im immer fescher werdenden Wien“ bezeichnet hat, den Zuschauer aus der theatralischen Illusion zu lösen. Vor allem die vielen Ressentiments werden in bester Schlingensief-Tradition radikal gedehnt und damit in ihrer Absurdität offengelegt.

Doch durch die ständigen Tanz- und Gesangseinlagen erweist sich die Performance auch als mild gewürzte Feel-Good-Komödie. Und der Baustellenstaub, den man zum Schluss hustet, erzeugt einen faden Nachgeschmack. PHILIPP RHENSIUS

■ Aufführungen Freitag und Samstag, 20 Uhr, HAU 2