: Erstmals Randale
Der westfälische Frieden wurde am Mittwoch von Fans kurz gestört. Ein Beamter erlitt Wadenbiss
DORTMUND taz ■ Einträchtig saßen die Fans in den Kneipen. Schwarzrotgold neben Rotweiß. Drei Stunden vor der WM-Partie Deutschland gegen Polen in Dortmund war von den befürchteten Ausschreitungen nichts zu spüren. Doch je näher der Anstoß rückte, desto ungemütlicher wurde die Atmosphäre. „Spargelstecher, Erdbeerpflücker“, schallte es den polnischen Fans entgegen. Auch der Brunnen auf dem Alten Markt wurde plötzlich zur „No-go-Area“. Als die polnischen Gäste im Wasser stehend ihr heimatliches Liedgut sangen, wurden sie von mehreren hundert Kehlen lautstark ausgebuht. Deutsche Fans stimmten die Nationalhymne an. Später sollen noch Flaschen und Tische geflogen sein, nachdem 150 Fans von der Polizei eingekesselt worden waren. Insgesamt 100.000 Fußballfans hatten sich in Dortmund versammelt.
429 gewaltbereite Fußball-Fans seien schließlich am Rande der Partie „festgesetzt worden“, teilte die Dortmunder Polizei gestern mit. Davon stammten 278 Hooligans aus Deutschland, 119 aus Polen, der Rest verteile sich auf andere europäische Länder. Die „schlimmsten Befürchtungen“ seien nicht eingetreten, sagte ein Sprecher der Polizei. So fand eine verabredete „Hauerei“ zwischen deutschen und polnische Hooligans nicht statt.
„Der Polizeieinsatz war ganz hervorragend“, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Gegen 96 „Störer“ werde nun in Folge von „förmlichen Festnahmen“ weiter ermittelt. Körperverletzung oder Sachbeschädigung seien nach Polizeiangaben die wesentlichen Delikte. Auf Seiten der Polizei hinterließ der größte Einsatz der „Dortmunder Polizeigeschichte“ kaum sichtbare Spuren. Ein Beamter wurde durch einen Biss in die Wade leicht verletzt. Bis Donnerstagnachmittag waren fast alle Festgesetzten wieder frei.
Der Sicherheitsapparat hatte vor dem Spiel Ausschreitungen wie bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich befürchtet. Damals war am Rande der Partie Deutschland gegen Jugoslawien in Lens unter anderem der französische Polizist Daniel Nivel von deutschen Hooligans brutal zusammengeschlagen worden. Mehrer Wochen lag er im Koma. Noch heute leidet Nivel unter den Folgen der Attacken. Am Mittwochabend war er in Dortmund unter den Gästen – abgeschottet von der Öffentlichkeit. Die Familie hatte darum gebeten.
Spätestens nach dem Spiel hatte sich der allgemeine Ärger aufgelöst. Die Abreise verlief ohne Störungen. Zu Verzögerungen kam es nur, nachdem die Polizei den Haupteingang des Dortmunder Hauptbahnhofs gesperrt hatte – aus Sicherheitsgründen sollten die Fangruppen über die Nebeneingänge getrennt werden. Deutsche und polnische Fans traten dennoch gemeinsam den Heimweg an. „Alles Gute“ und „Kommt gut nach Hause“, riefen sich die Anhänger zu. Sie tranken Bier und umarmten sich. Lediglich eine Gruppe von etwa 25 Jugendlichen wollte den westfälischen Frieden stören. „Ohne Polen fahr’n wir nach Berlin“, sangen sie lautstark. Doch selbst das konnte niemanden mehr provozieren.
SIMON BÜCKLE, HOLGER PAULER