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Archiv-Artikel

In der ersten Reihe

SENIORENSCHWEMME Im ehemaligen Fischerdorf Timmendorfer Strand steigen die Preise für Wohnraum. Finanzstarke Senioren machen sich breit. Es droht eine Entwicklung wie auf Sylt

Und am Ende des Weges: das Meer. Selbst an diesem trüben Wintervormittag schimmert die Ostsee in einem zarten Blau-Grün, Wellen plätschern an den weißen Strand, der sich menschenleer in beide Richtungen erstreckt. Ein Kutter zieht weit draußen in der Lübecker Bucht seine Bahn, eine Möwe kreist fast ohne Flügelschlag.

„Urlaubsgefühl endlos“, wirbt die Gemeinde Timmendorfer Strand. Seit einigen Jahren entwickelt sich das ehemalige Fischerdorf zwischen Scharbeutz und Travemünde zum beliebtesten Ort der Region – doch so sehr sich die Lokalpolitik über den Zulauf an Feriengästen und Neubürgern freut, sieht sie allmählich auch die negativen Folgen.

Im Zentrum zwischen Kirche und altem Rathaus drängen sich schicke Läden mit maritimem Nippes. Die Strandallee ist hier mit gelben Ziegeln und grauen Randsteinen ausgelegt: „Belgischer Klinker und Granit“, sagt Jörn Eckert. „Das sieht nicht überall so aus.“ Eckert ist Gemeindevertreter der SPD, er sitzt im Bau- und Sozialausschuss und kennt alle Seiten des Ortes.

Die Strandallee verläuft parallel zur Wasserlinie. Sie beginnt als Travemünder Landstraße im Ortsteil Niendorf, in dem es beschaulicher zugeht als im Schwesterndorf Timmendorfer Strand. Am Niendorfer Hafen wechselt der Name zu Strandweg. Eine Reihe von Villen zieht sich seeseitig an einem grünen Heckenband entlang wie unregelmäßige Perlen: Moderne, schicke Gebäude, mit großen Glasfenstern – Häuser für gutes Wetter. Fast alle Grundstücke „in der ersten Reihe“ mit unverbaubarem Meerblick sind in den vergangenen Jahren neu bebaut worden. Nur einzelne schmale Ziegelhäuschen stehen noch dazwischen – da leben Alteingesessene, die partout nicht verkaufen wollen. Aber früher oder später tun es die meisten doch. Eckert schätzt, dass einige der Häuser und vor allem die Grundstücke zweistellige Millionenbeträge wert sind.

Jürgen Hunke besitzt gleich drei: „Trilogie der Harmonie“ hat er das Ensemble von Häusern mit Strandblick genannt, die er im Lauf der Jahre gekauft und umgebaut hat. Mit den weißen Dächern und den Buddha-Statuen im Garten sind die drei Gebäude ein echter Hingucker – ins Ortsbild passen sie ebenso wenig wie der ebenfalls mit Asien-Elementen hergerichtete, reetgedeckte „Lesesaal“ einige hundert Meter weiter die Straße entlang, auch eine Idee Hunkes.

In den 70er- und 80er-Jahren setzte er als Chef der „Zeus“-Versicherung Drückerkolonnen in Marsch, in den 90er-Jahren war er Präsident des HSV und sanierte als Geschäftsführer die Hamburger Kammerspiele. Heute bezeichnet er sich als „selbst bestimmter Privatier, der manchmal verrückt erscheinenden Plänen anhängt sowie eigene Vorstellungen umsetzt“ – gern in seinem Zweitwohnsitz Timmendorfer Strand.

Mit dem Plan, dem Ort ein Teehaus zu schenken, das auf der zentralen Seebrücke steht, machte Hunke überregional Schlagzeilen. Die Gemeinde, in der eine satte Mehrheit aus CDU und freien Wählern regiert, nahm das Geschenk an, gegen die Zweifel der Opposition. Die hält die Spende des Mäzens nur auf den ersten Blick für ein gutes Geschäft. Der monatelange Streit um die Nutzung und architektonische Details gibt ihnen bislang Recht. Über drei Million Euro müsse die Gemeinde mittelfristig drauflegen, schätzt Eckert: „Was hätten wir damit alles anfangen können.“

Zum Beispiel im Ortsteil Klein Timmendorf. Er liegt jenseits der Bundesstraße 76, die hier als „Bäderrandstraße“ durch die Gemeinde führt. Nur ein paar hundert Meter vom Kurpark und der schick – wenn auch ohne Radweg – sanierten Bergstraße beginnt das Viertel engerer, älterer Straßen. Hier ist der Asphalt schrundig, Mehrfamilienhäuser bestimmen das Bild. Dort, wo die Bahngleise den Weg beenden, stehen einige Container auf einem morastigen Platz, Wäsche hängt an einer Leine. Daneben ragt der Rohbau eines Wohnblocks: „Unsere Asylbewerberunterkunft und unser sozialer Wohnungsbau“, sagt Jörn Eckert.

Günstige Wohnungen sind Mangelware in Timmendorfer Strand. Fraktionsübergreifend fürchtet der Gemeinderat inzwischen Verhältnisse wie auf Sylt, wo Ortsansässige wegziehen und zum Arbeiten auf die Insel pendeln. „Schaffung von bezahlbaren Bauplätzen für Einfamilienhäuser, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und weitgehende Eindämmung der Errichtung von Zweitwohnungen“, forderte auch die CDU im Kommunalwahlkampf. „Ausgleich schaffen zwischen den Ortsteilen“ will die Wählergemeinschaft WUB, die zweitstärkste Kraft im Gemeinderat.

In Timmendorfer Strand leben weniger als 10.000 Menschen, gleichzeitig zählt der Ort 213.000 Feriengäste pro Jahr. So wachsen Ferienappartments aus dem Boden, die im Winter leer stehen, mit verrammelten Fenstern und öden Vorgärten – toter Raum, aber ein gutes Geschäft für Investoren. Laut dem „Immobilienatlas“ der Bausparkasse LBS sind die Preise für Häuser in zwei Jahren um 23 Prozent gestiegen. Timmendorfer Strand, laut LBS der „mondänste Ort der Region“, führt die Statistik an der Lübecker Bucht an: Kaufpreise liegen bei 2.800 Euro pro Quadratmeter, bei Neubauten zwischen 3.000 und 6.000 Euro pro Quadratmeter. Mehrere „Objekte über zwei Millionen“ haben die Makler im Portfolio.

„Bezahlbarer Wohnraum“ war das zentrale Wahlkampfthema für Hatice Kara. Die Juristin, die vorher als Rechtsanwältin in Rendsburg arbeitete, ist seit 2012 Bürgermeisterin von Timmendorfer Strand, als SPD-Mitglied in dem konservativ geprägten Ort. „Es ist die Aufgabe der Gemeinde, Wohnungen zu schaffen, aber eben auch sehr schwierig, wenn der Platz begehrt ist“, sagt sie.

Dass vor allem Ältere zuziehen, dass junge Familien ausweichen, gefährdet die Schulen, die Vereine, die Feuerwehr. „Wir freuen uns über jeden, der herzieht“, sagt die Bürgermeisterin. „Aber die Mischung muss gewahrt sein.“

In einem Neubaugebiet konnte die Gemeinde einen Investor verpflichten, 18 Wohnungen mit langfristiger Preisbindung zu schaffen. „Es mag ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, aber es ist ein Tropfen“, sagt Kara. Auf die Grundstücke im Zentrum hat sie dagegen wenig Einfluss: Wenn Privatleute verkaufen, tun sie das in der Regel an den Meistbietenden. Und das sind oft Investoren, die Ferienappartements bauen wollen. Eine schwierige Situation. „Wir dürfen nicht vergessen: Die Wirtschaftskraft des Ortes und 80 Prozent der Arbeitsplätze hängen am Tourismus“, sagt die Bürgermeisterin.

Eine Lösung könnte sein, einfach mehr zu bauen, aber da ist die schleswig-holsteinische Landesplanung vor, in der für Timmendorfer Strand nur geringes Wachstum festgeschrieben ist. Ärgerlich, findet Kara: „Gesetze müssen doch für die Menschen sein. Wenn die Einheimischen verdrängt werden, kann das niemand wollen.“  ESTHER GEISSLINGER