: Für eine Wende auf den Straßen
Ohne Auto mobil sein: Am Sonntag rollen wieder tausende Teilnehmer der Fahrrad-Sternfahrt aus Norddeutschland ins Zentrum Hamburgs. Demonstration gegen eine Verkehrspolitik, die Autofahrer seit Jahrzehnten für Autofahrer machen
Von MAXIMILIAN PROBST
Der Radverkehr hat sich in Hamburg seit 1984 verdreifacht. Fast jeder Haushalt verfügt über mindestens ein Fahrrad, über ein Auto hingen nur gut die Hälfte. Und obwohl der Fahrradverkehr ein Fünftel des rollenden Individualverkehrs ausmacht, hat der Hamburger Senat nur 0,07 Prozent des Verkehrshaushaltes dafür bestimmt. „Da haben die Politiker die Promille-Grenze falsch verstanden“, sagt Udo Schuldt von der Initiative „Mobil ohne Auto“, die zum morgigen bundesweiten Aktionstag „Autofreier Sonntag“ diese Zahlen präsentiert.
In Norddeutschland hat ein breites Bündnis von Verkehrs-, Umwelt-, „Eine Welt“- und Friedensinitiativen – darunter der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), Greenpeace und Attac, eine Sternfahrradfahrt organisiert: Am Sonntagmorgen werden dann aus allen Himmelsrichtungen die Radler auf den Hauptverkehrsstraßen Hamburgs Zentrum ansteuern. Die äußersten Startpunkte sind Lübeck und Itzehoe, aber auch von Lüneburg oder Stade muss schon ordentlich in de Pedale getreten werden.
Der schönste Streckenabschnitt ist wieder die Fahrt über die Köhlbrandbrücke für alle, die südlich der Elbe starten. Am Dammtorbahnhof laufen die Routen zusammen, am WM-Fanfest auf dem Heiligengeistfeld in St. Pauli vorbei geht‘s dann gemeinsam zur Altonale weiter. Um 15 Uhr endet dort die Fahrt. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 20.000 Radlern, die mit ihrer Teilnahme gegen die Verkehrspolitik des Hamburger Senats demonstrieren wollen.
„Eine verkehrspolitische Wende ist heute überfällig“, meint Schuldt. Und Rainer Kulla, Mitorganisator der Fahrradsternfahrt, präzisiert: „Seit Jahrzehnten wird eine Politik von Autofahrern für Autofahrer gemacht. Die Infrastruktur für Fahrradfahrer und Fußgänger ist seit langem unterdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Metropolen.“ Dabei hat Hamburg ein großes unausgeschöpftes Potential an Fahrradfahrern. Eine Untersuchung ergab, dass die „Wegeketten“ – das Verbinden mehrerer Ziele an einem Tag – in der Hansestadt im Durchschnitt bei fünf Kilometern liegen würden. „Eine ideale Fahrradentfernung“, findet der Verkehrsexperte Jochen Hanisch.
Konkret fordert das Organisationsbündnis, dass die Ausgaben für den Fahrradverkehr auf 30 Prozent des Verkehrsetats aufgestockt werden. Damit sollen Radwege, Radspuren auf den Straßen und Abstellanlagen massiv ausgebaut werden. Für den motorisierten Verkehr soll Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit und Tempo 50 auf Hauptstraßen eingeführt werden. Vor allem die „Bettelampeln“ will das Bündnis abschaffen, die nur auf Anforderung auf Grün umschalten. Für Autos heißt das ein Maximum an freier Fahrt – Fußgänger und Radfahrer aber warten immer.
Mit seinen Forderungen hat das Organisationsbündnis aber nicht nur Verkehrsvorteile für Fahrradfahrer im Sinn. Nach dem Motto der Globalisierungskritiker „Think global, act local“ zielt, was mit der Stadtplanung beginnt, schließlich auf eine präventive Friedens- und Entwicklungspolitik: Zumindest als Konfliktpotential ist das für den motorisierten Verkehr benötigte Öl ein Dauerbrenner. Und die dadurch verursachten CO[2]-Emissionen und deren Folgen bekommen vorwiegend die Länder der nördlichen Hemisphäre zu spüren: Klimawandel, Dürreperioden und Überschwemmungen.
Die Politik der Metropole habe allerdings eine ganz andere Globalisierungsperspektive, erklärt Jochen Hanisch: „Hamburg sieht sich als Globalisierungsgewinner durch die neuen Produktions- und Absatzmärkte im Osten. Die Verkehrspolitik ist daher einseitig ausgerichtet auf die Hafenlogistik und den Transport auf der Straße. Sozial und ökologisch verträgliche Verkehrskonzepte sind schlicht nicht aktuell.“
Dass zudem ausschließlich große Infrastrukturprojekte finanzielle Unterstützungen des Bundes versprechen, „induziert geradezu Vorhaben wie den Bau der Hafenquerspange“ – zu Lasten intelligenter kleinerer Lösungen. Unter diesen Prämissen, sagt Hanisch, „verkommt Stadtplanung zur Befeuerung von Marketing und PR.“