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Archiv-Artikel

Trauer um „Berluskroni“

HANS DICHAND Der einflussreichste Verleger Österreichs war für Haider und gegen Atomkraft. Über 40 Jahre hatte er die Republik mitregiert – aber natürlich nie Macht gehabt

Der Medienkaiser

Vorgeschichte: Hans Dichand wird am 29. Januar 1921 in Graz geboren. Arme Verhältnisse, der Vater ist Schuhoberteilzuschneider. Dichand dient im Zweiten Weltkrieg als Matrose. 1941 wird sein Schiff von britischen Torpedos versenkt, Dichand kann sich retten. 1945 Mitarbeiter des britischen Nachrichtendienstes.

Aufstieg: Nach dem Krieg will Dichand Journalist werden – doch man gibt ihm keine Stelle, sondern lässt ihn eine Druckerlehre machen. 1949 Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Graz; 1954–1958 Ankunft in Wien als Chefredakteur des Boulevardblatts Kurier.

Olymp: 1959 gründet Dichand mit dem Waschmittelhersteller Kurt Falk die im Dritten Reich von den Nazis eingestellte Kronen Zeitung neu. Weiteres Kapital wird von dem Gewerkschaftsfunktionär Franz Olah organisiert, der von einer sozialdemokratischen Boulevardzeitung träumt. 1987 steigt Falk entnervt bei der Krone aus. Die WAZ-Gruppe aus Deutschland übernimmt Falks 50-Prozent-Anteil. Der startet eigene Konkurrenzblätter gegen Dichand – ohne Erfolg. Seit 2003 tobte dann der Streit zwischen WAZ und Dichand.

Die Frage: „Wie regiert die Krone ohne Hans Dichand und wer mit ihr?“ (Der Standard) STG

aus Wien Ralf Leonhard

Man wollte ihn schon für unsterblich halten. Noch mit fast 90 Jahren hielt Hans Dichand in der Kronen Zeitung, Österreichs meistgelesenem Boulevardblatt, die Zügel fest in der Hand. Am Donnerstag ist er doch gestorben: unspektakulär in einem Wiener Spital.

Wahrscheinlich ist es untertrieben, wenn man sagt, Hans Dichand hätte die Kronen Zeitung geleitet: Er war die Kronen Zeitung. Vier von zehn ÖsterreicherInnen lesen das Blatt und jedeR zweite von ihnen nimmt nie eine andere Tageszeitung in die Hand. Deutschlands Bild ist nichts dagegen: Gemessen an der Bevölkerungszahl ist die Krone eine der meistgelesenen Zeitungen der Welt.

Für Hans Dichand war sie vor allem das Zentralorgan des „gesunden Volksempfindens“. Als Herr über die Meinung des kleinen Mannes konnte er Wahlen entscheiden, Minister wegmobben und Plebiszite ins Leben rufen. Doch anders als der Medienmagnat Silvio Berlusconi erlag er nie der Verlockung, selbst in die Politik einzusteigen.

Das war auch nicht nötig: „Unser Platz als Zeitungsmacher ist im Vorhof der Macht. Ich streichle lieber meinen Hund daheim, als Macht auszuüben“, stapelte Tierfreund Dichand in seinen Memoiren tief. Doch zu diesem „Vorhof“ gehören so einflussreiche Örtlichkeiten wie die des österreichischen Bundespräsidenten, wo Dichand zu Zeiten Thomas Klestils (1992–2004) regelmäßig zu Kaffee und Gugelhupf gebeten wurde. Dass für den amtierenden Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) der Verstorbene angeblich familiär „Onkel Hans“ war, passt ins Bild. Faymann hätte bei den Wahlen 2008 wohl kaum den entscheidenden Vorsprung vor der konservativen ÖVP herausholen können, wenn die Krone seinen Wahlkampf nicht mit ihren Propagandatrommeln begleitet hätte. „Vor dem Medienkaiser warfen sich Kanzler in den Staub“, schreibt der liberale Standard, jahrzehntelang „hielten ein Mann und sein Blatt die Republik in Geiselhaft“.

Wie viel Macht „Berluskroni“ hatte, war ihm immer bewusst – und worauf es ankommt: „Man ist so lange hilflos, solange einem die Zeitung nicht gehört“, klagte er gern. Auch das ist natürlich eine formvollendete Untertreibung, auch wenn Dichand die 1959 nach der Schließung durch die Nationalsozialisten wiederbelebte Krone nie ohne Juniorpartner hatte führen können.

Der große alte Mann der Presse war immer darauf bedacht, dass die Kasse stimmte

Seit 1987 sorgt diese ungleiche Partnerschaft für milde Verzweiflung in Deutschland: Seitdem ist die Essener WAZ-Gruppe mit Dichand und der Krone liiert. Ideologisch passt das: Wie die WAZ-Zeitungen war auch Dichand nie parteipolitisch festgelegt, sondern wollte den meisten Einfluss – und die höchsten Renditen. Kühne Träume, mit dem Wiener Familienbetrieb Dichand die Redaktionslinie wenigstens mitzubestimmen, konnte sich die WAZ allerdings umgehend abschminken. Dichand wehrte alle Versuche jahrelang erfolgreich ab und setzte 2001 sogar gegen den dezidierten Widerstand der WAZ seinen Sohn Christoph als neuen Krone-Chefredakteur durch und fuhr bis zuletzt eine den WAZ-Gesellschaftern sichtlich unangenehme, aggressive Anti-EU-Kampagne.

Hans Dichand hat es dabei immer verstanden, die Stimmung in der Bevölkerung auszuloten und die Krone als mächtigen Verstärker einzusetzen. „Wir sind der Gefahr entgegengetreten, die von der Atomenergie ausgeht. Wissenschaftler, ja selbst Experten der Regierung haben sich uns angeschlossen. Die Kronen Zeitung wird den kompromisslosen Kampf gegen die Atomgefahr weiterführen und jene nicht im Stich lassen, die sich uns angeschlossen haben. Ihnen danken wir“ – auch das ist Dichand. Fasziniert war er vom demagogischen Talent Jörg Haiders, dessen Aufstieg durch die Krone gefördert und beschleunigt wurde. Mit der Warnung vor über das Land hereinbrechenden Ausländerfluten traf Haider die Ängste des kleinen Mannes und Krone-Lesers. Politiker, die eine prononciert weltoffene Linie verfolgten, wurden gnadenlos attackiert, bis sie von den eigenen Parteien aus der Schusslinie genommen wurden.

Wer sich Dichands Groll zuzog, der hatte nichts zu lachen. Diese Erfahrung machte auch die belgische Filmemacherin Nathalie Borgers, die 2002 einen Film über Dichand und sein Blatt drehte: „Kronen Zeitung – Tag für Tag ein Boulevardstück“. Darin sieht man zum Beispiel in der Bibliothek von Krone-Hauspoet Wolf Martin hübsch aufgereiht die gesammelten Reden von Adolf Hitler. Und aus den freimütigen Erklärungen Martins kann man ableiten, dass er diese auch gelehrig studiert hat. Der Kultursender Arte, der den Film zeigte, wurde mit dem Bannfluch des greisen Herausgebers belegt. Arte wird im Fernsehprogramm der Krone nicht berücksichtigt. Und dass der ORF, der die freche Doku mitfinanziert hatte, es bis heute nicht wagte, sie zu zeigen, versteht sich fast von selbst.

Hans Dichand ist bis zuletzt täglich in seinem Büro erschienen. Alle Texte mussten über seinen Schreibtisch wandern, die Leserbriefe wurden vom Chef persönlich ausgewählt. Viele schrieb er auch gleich selbst, angeblich suchte er auch das Tittenmädchen aus und dichete den Begleittext. Seine Meinung tat er häufig auch direkt in Leitartikeln unter den Pseudonymen „Cato“ oder „Eule“ kund. Besonders gern aber schrieb er für die bunte Sonntagsbeilage – über seine Kriegserinnerungen bei der Marine im Zweiten Weltkrieg.

Für Hans Dichand war die „Krone“ das Zentralorgan des „gesunden Volksempfindens“

Bei allem journalistischen Gespür für die Stimmung im Volke, war der große alte Mann der österreichischen Medienlandschaft immer darauf bedacht, dass die Kasse stimmte. Parteien, Ministerien und Politiker, die großzügig Anzeigen in der Krone platzierten, konnten mit freundlicher Berichterstattung rechnen. Auf Anzeigenentzug folgte umgehend die Vergeltung im redaktionellen Teil. Er selbst ließ sich im Vertrag mit der WAZ einen monatlichen „Vorabgewinn“ von über 700.000 Euro überweisen. Sein Vermögen ermöglichte Dichand nicht nur die herrschaftliche Villa in Wien und Nebenwohnsitze vom Attersee bis Sardinien. Er ist auch einer der größten Kunstsammler Österreichs.

Die WAZ hatte er am Ende weichgekocht: Im Herbst 2009 kündigten die Essener an, unter bestimmten Bedingungen ihre Anteile an der Krone abzugeben. „Hans Dichand war nicht immer ein bequemer Partner, aber er kämpfte mit unruhiger Geduld um die Sache, zu der er sich bekannte“, lassen die WAZ-Gesellschafter zum „Ableben“ ihres schwierigen Partners ausrichten. Denn Partner sind sie immer noch: Bis Pfingsten 2010 hätte ein Angebot für die WAZ-Anteile vorliegen müssen, doch es kam keins.

Wie schon bei allen Konflikten zuvor, die zeitweise nur noch über Anwälte ausgetragen wurden, zog Dichand im letzten Moment immer die Notbremse: „Aus so etwas kann sich ein richtiger Krieg entwickeln. Wenn wir so weitermachen, kann das so enden wie in verschiedenen Shakespeare-Stücken, dass auf der Bühne nur noch Tote liegen.“