In NRWs Flüssen fließt Gift

Das Wasser von Ruhr und Möhne ist mit der Chemikalie PFT belastet. Obwohl in Tierversuche Langzeitschäden nachgewiesen wurden, gibt es bislang keine Grenzwerte für Trinkwasser

von MIRIAM BUNJES
und STEPHAN GROßE

An Ruhr und Möhne bahnt sich ein neuer Umweltskandal an: Seit das Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn eine erhöhte Konzentration perfluorierter Tenside (PFT) in der Ruhr im Hochsauerlandkreis und in der Möhne nahe der Möhnetalsperre gefunden hat, herrscht Alarmstimmung vom Sauerland bis ins Ruhrgebiet.

„Es besteht keine akute Gesundheitsgefahr“, sagen zwar die Behörden. Gleichzeitig warnt der Hochsauerlandkreis (HSK) davor, Babynahrung mit Leitungswasser zuzubereiten. Giftig oder nicht – morgen soll die nordrhein-westfälische Trinkwasserkommission diese schwierige Frage lösen. Bislang gibt es keine Grenzwerte für PFT. „Die Zeit dafür ist sowieso überreif“, sagt Harald Färber, der für das Bonner Hygieneinstitut die Messungen vorgenommen hat. Sein Institut hat deutschlandweit verschiedene Oberflächengewässer auf ihren PFT-Gehalt untersucht. Grund: Die Chemikalie wird in unendlich vielen Alltagsgegenständen verwendet: auf beschichtetem Papier, in Reinigungs- und Feuerlöschmitteln. „PFT ist überall“, sagt der Umweltmediziner. Akut gefährlich sei der Stoff für Menschen wahrscheinlich nicht. Allerdings kann er Langzeitwirkungen nicht ausschließen. Die Leberfunktion von Ratten und Affen wurde in Tierversuchen mit PFT stark beeinträchtigt. „Das ist zwar nur bedingt auf Menschen übertragbar, aber eine deutliche Warnung“, sagt Färber.

Inzwischen ist der Biodünger der Firma GW Umwelt aus Borchen als eine Quelle der Wasserverschmutzung identifiziert. Seit Anfang letzter Woche hat der Betrieb die Düngerproduktion freiwillig eingestellt. Ende letzter Woche forderte die Behörde den Düngerhersteller auf, seine Lieferungen offen zu legen, um die Verbreitung der Vergiftung in NRW und darüber hinaus abschätzen zu können. Im Hochsauerlandkreis wurden 50 Flächen mit dem PFT-verseuchten Biodünger gedüngt, im Nachbarkreis Soest fast 500 Felder. Anfang vergangener Woche waren die Behörden sogar von 900 ausgegangen. „Das sind fast 1.200 Hektar Nutzfläche“, sagt Kreissprecher Wilhelm Müschenborn. Folgen für die Landwirte seien aber noch nicht abzusehen.

GW Umwelt-Geschäftsführer Ralf Witteler ist es noch immer schleierhaft, wie PFT in seinen Dünger gelangen konnte: „Wir tappen im Dunkeln. Wir und unsere Zulieferer sind registriert und werden kontrolliert.“ Auch das zuständige Amt für Umwelt- und Arbeitsschutz Ostwestfalen-Lippe bestätigt, dass sich die Firma an die Bioabfallverordnung gehalten habe. Das Problem: Wegen fehlender Grenzwerte wird nicht gezielt nach PFT gesucht.

Die beiden betroffenen Kreise reagierten mit Informationskampagnen auf die Wasserverschmutzung. Der HSK hat Ende letzter Woche eine Hotline eingerichtet, an die sich besorgte Einwohner wenden können. „Allein am ersten Tag haben bis Mittags 85 Bürger angerufen“, so Kreissprecher Martin Reuther.

Sorgen macht sich auch der Ruhrverband, der sich immerhin rühmt, die fünf Millionen Bewohner des Ruhrgebiets mit einwandfreiem Trinkwasser zu versorgen. Denn PFT taucht, wenn auch in sehr viel geringerer Konzentration, überall entlang der Ruhr auf. Der Wasserwirtschaftsverband hat bereits eigene Proben gezogen und wartet auf die Messergebnisse. „Wir warten jetzt auf die Grenzwerte der Trinkwasserkommission“, sagt Ruhrverbandssprecher Markus Rüdel.