: UNO: Gewalt nimmt deutlich zu
AFGHANISTAN Ein Bericht des Generalsekretärs sieht die Ursachen vor allem im Anstieg der militärischen Operationen. Auch die Zahl der Opfer unter den Nato-Soldaten steigt
AUS KABUL THOMAS RUTTIG
Die US-Truppenerhöhung und die Antwort der Taliban darauf haben einen weiteren, „dramatischen“ Anstieg des Gewaltpegels in Afghanistan bewirkt. Das geht aus dem jüngsten Bericht des UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon hervor, der am Mittwoch dem Sicherheitsrat vorgelegt wurde.
Wie zur Bestätigung gingen am Sonntag allein zwei Bomben in der südafghanische Provinzhauptstadt Laschkargah hoch. Dem einen Anschlag vor einem Bankgebäude erlagen mindestens zwei Passanten; ein Fahrzeug der afghanischen Polizei, das in der Nähe stand, soll das Ziel gewesen sein. Die zweite Bombe war vor einer Schule deponiert worden, zum Glück gab es nur vier Verletzte.
Am Samstag und Sonntag wurden bei zwei Vorfällen in der Provinz Kundus fünf deutsche Soldaten in Sprengfallen verwundet. Ganz im Nordosten, in der Provinz Badachschan, traf es am Sonntag ein weiteres Isaf-Fahrzeug. Drei Soldaten unbekannter Nationalität sowie ein afghanischer Dolmetscher wurden verletzt. Am selben Tag brachten die Taliban in Helmand einen achtjährigen Jungen unter der Anschuldigung um, für die ausländischen Truppen spioniert zu haben. Lokale Geistliche und Stammesführer protestierten gegen die Untat – nicht gerade gewöhnlich für das von Taliban beeinflusste Gebiet.
Der UN-Bericht schreibt die erhöhte Gewalt vor allem „dem Anstieg militärischer Operationen in der Südregion Afghanistans im ersten Quartal“ des Jahres zu. Dort fand in der Provinz Helmand im Februar die Operation „Mushtarak“ statt, während der den Taliban die Kontrolle über den wichtigen Mohnanbaudistrikt Nadali – von dem dann der Distrikt Mardscha abgetrennt wurde – entrissen werden sollte. Die Taliban hatten mit einer Gegenoffensive geantwortet. Die Mardscha-Operation der Nato gilt als gescheitert, da nur das unmittelbare Distriktzentrum gesichert werden konnte und die neue afghanische Verwaltung kaum vorwärts kommt.
Der UNO zufolge gab es im ersten Quartal durchschnittlich drei Selbstmordattentate der Taliban pro Woche. Der Gebrauch sogenannter IEDs – improvisierte Sprengladungen – nahm im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 94 Prozent zu. Gezielte Morde an regierungsfreundlichen Regierungsangestellten, Stammesführern und Geistlichen stiegen um 45 Prozent – durchschnittlich ereignet sich einer pro Tag. Zuletzt traf es vergangene Woche den Distriktgouverneur von Arghandab bei Kandahar, den eine in US-Medien hochgelobte Stammesmiliz sichern soll. Dies folgte auf einen Taliban-Anschlag auf eine Hochzeitsgesellschaft am selben Ort, bei dem am 9. Juni 40 Menschen umkamen. Auch dabei scheinen Milizkämpfer Ziel des Anschlags gewesen zu sein. Beobachter vor Ort hatten seit längerem vor der Aufstellung solcher Milizen gewarnt, die Konflikte eher verschärfen als kontrollieren.
In den letzten Wochen ist auch die Zahl der Opfer in den Reihen der truppenstellenden Nato-Länder abrupt angestiegen. Im Juni wurden bisher 53 Nato-Soldaten getötet, davon waren 34 US-Amerikaner. Im Mai überschritt die Zahl der in Afghanistan gestorbenen US-Soldaten die 1.000er-Grenze. Gleichzeitig gab ein Nato-Sprecher bekannt, die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan sei in den letzten drei Monaten um 44,4 Prozent gefallen. Laut UNO gehen 70 Prozent der zivilen Opfer auf das Konto der Taliban. 332 Kinder kamen „durch Gewalt“ um.
Diese weitere Verschärfung des Gewaltklimas ist kein gutes Omen für die Parlamentswahlen, die am 18. September stattfinden sollen. Für deren Finanzierung fehlen laut UN-Report noch 50 der veranschlagten 150 Millionen US-Dollar. Laut dem renommierten Internet-Magazin Mother Jones kostet der Militäreinsatz in Afghanistan den US-amerikanischen Steuerzahler genau 57.077,60 Dollar – pro Minute. Knapp 15 Stunden könnten diese Lücke füllen.