„So funktioniert Propaganda“

Die Regisseurin Helke Sander plädiert für die Trennung von Staat und Fußball. Deshalb hat sie einen offenen Brief an ARD und ZDF verfasst und will bis zum Ende der Fußball-WM weniger Gebühren zahlen. Das Spektakel selbst gefällt ihr

taz: Frau Sander, Sie sind ja immer noch im Lande. Wir dachten schon, Sie hätten sich während der Fußball-WM ins Ausland geflüchtet.

Helke Sander: Nein, ich habe momentan zu viel zu tun. Außerdem muss man ja nicht immer Fernsehen gucken.

Im Vorfeld der Fußball-WM haben Sie einen offenen Brief an ARD und ZDF geschickt, in dem Sie „für die Trennung von Staat und Fußball“ plädierten. Welche Reaktionen gab es?

Von den Leuten, an die er adressiert war – also von den vielen Rundfunkräten, die es in der ARD gibt, jeder Sender hat ja ungefähr sechzig – hat mir nur eine einzige Person geantwortet, und zwar zustimmend. Ansonsten gab es keine Reaktionen.

Und sonst?

Ich habe sehr viel Zustimmung erfahren, nicht nur im privaten Kreis, weil der offene Brief ja auch in einigen Mail-Verteilern zirkulierte. Den Verantwortlichen ist das offenbar egal: In den öffentlichen Rundfunkanstalten schert das niemanden. Doch der Unmut darüber, dass die öffentlich-rechtlichen Anstalten immer weniger ihrem Auftrag nachkommen, steigt langsam. Der Journalist Jürgen Bertram, ein ehemaliger NDR-Redakteur, hat ein Buch namens „Mattscheibe“ über „Das Ende der Fernsehkultur“ geschrieben und stößt darin ins gleiche Horn. Und die Arbeitsgemeinschaft der Dokumentarfilmer, der ich auch angehöre, will einen Kongress zu diesem Thema organisieren. Aber so richtig hat sich der Protest noch nicht artikuliert.

Zahlen Sie denn jetzt noch Rundfunkgebühren? Sie haben ja angedroht, während der Fußball-WM keine Gebühren mehr zu bezahlen.

Ich habe vier Fünftel der Gebühren überwiesen, ein Fünftel habe ich an Terre des Femmes gespendet. Das Ganze war allerdings ein recht komplizierter Akt, weil man erst bei der GEZ kündigen und dann die zuständige Bank heraussuchen muss.

Und wie reagiert die GEZ?

Von der GEZ habe ich nach meiner Kündigung erst einmal eine Mahnung und die Mitteilung bekommen, dass der Gesetzgeber eine Kürzung nicht vorsieht. Also habe ich ihnen noch einmal geschrieben. Ich weiß noch nicht, was jetzt passieren wird, weil nach der Kündigung zunächst noch einmal die volle Summe abgebucht wurde. Ich bin aber gespannt, wie es weitergeht.

Wie finden Sie das TV-Programm jetzt während der Fußball-WM? Fühlen Sie sich nun noch mehr beeinträchtigt?

Ich bin derzeit bei einer Freundin, die besitzt gar keinen Fernseher, und ich vermisse das auch nicht. Normalerweise gucke ich ab und zu Nachrichten oder irgendeine andere Sendung – aber immer weniger, muss ich sagen, weil das Programm wirklich immer schlechter wird. Dieser offene Brief bezog sich ja nicht auf Fußball alleine, sondern auf das TV-Programm insgesamt. Die WM ist ja nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, weil sie die Berichterstattung über Fußball ins Unermessliche gesteigert hat. Die ist ja schon zu normalen Zeiten kaum auszuhalten. Mehrmals am Tag hört man doch etwas über Fußball, weil er ein fester Bestandteil der Nachrichten geworden ist.

Andererseits hatte die TV-Übertragung der WM-Begegnung zwischen Deutschland und Polen eine Einschaltquote von 75 Prozent, und selbst weniger prominente Spiele finden ein großes Publikum. Bestätigt das nicht die TV-Anstalten in ihrer Programmpolitik?

Sollen doch die Leute Fußball gucken, wenn sie das wollen – dagegen habe ich doch gar nichts. Aber man kann das doch auch manipulieren: Kein Mensch guckt heute zum Beispiel noch Tennis, das war ja auch schon mal anders. Man könnte also genau so etwas anderes bringen. Das wird aber nicht gemacht, man kann sich dem ja gar nicht mehr entziehen. So funktioniert Propaganda.

Reguliert nicht der Markt das Angebot?

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben doch eine andere Aufgabe: Sie sollen umfassend über alle gesellschaftlichen Bereiche und Belange informieren. Und wenn man schon über Sport informiert, dann kann man genauso gut über den Breitensport berichten oder über Sackhüpfen.

Sie kritisieren den WM-Rummel aus einer feministischen Perspektive. Würden Sie den medialen Hype genauso kritisch sehen, wenn es um die Frauenfußball-WM ginge?

Der Frauenfußball wird wohl nie solche Massen mobilisieren. Außerdem würden die Zuhälter daran nicht verdienen können, indem sie viele tausend Prostituierte zwangsweise hierher schaffen. Aber ich habe gar nichts gegen den Sport, das wäre ein Missverständnis.

Sie fordern ein ausgewogeneres Fernsehprogramm.

Ich halte das Fernsehprogramm immer mehr für eine Katastrophe, es trägt wesentlich zur Verblödung der Nation bei.

Liegt das nicht auch an der Nachfrage? Kulturinteressierte Menschen gehen ins Theater, ins Kino und lesen Bücher – sie schauen relativ wenig fern. Das Fernsehen ist gar nicht mehr ihr Medium, deshalb wendet es sich auch immer mehr an andere Schichten.

Das glaube ich nicht. Die meisten Leute schauen doch zumindest noch die Nachrichten im Fernsehen und nicht im Internet.

Aber nachmittags sitzen bestenfalls Hausfrauen vor dem Fernseher. Deshalb laufen um diese Uhrzeit eben auch nur noch diese unsäglichen Talkshows.

Ich habe diesen offenen Brief geschrieben, nachdem ich eine Woche krank war und den ganzen Tag ferngesehen habe. Ich habe praktisch nichts ausgelassen und gedacht: Es kann doch nicht wahr sein, was man da geboten bekommt! Ich glaube nicht, dass das auf Nachfrage beruht: Man kann das Niveau auch sukzessive senken. Die „Lindenstraße“ wollte anfangs ja auch niemand sehen, weil sie so simpel daherkam. Aber man hat das einfach ausgesessen.

Zurück zum Fußball: Der WM kann man sich ja nicht entziehen, selbst wenn man gar kein Fernsehen guckt, weil sie ja im eigenen Land stattfindet. Wie empfinden Sie den ganzen Rummel?

Bislang stört mich das nicht, im Gegenteil: Wenn die Leute friedlich sind, finde ich das in Ordnung. Ich habe den Kölner Karneval gern und die schwedischen Massen gestern auf dem Wittenbergplatz erinnerten mich ein bisschen an diese Stimmung. Es ist ja eine Kunst, wenn sich Tausende mit dem gleichen Interessen auf einem Haufen versammeln und sich dabei relativ friedlich verhalten. Wahrscheinlich spielt dabei auch das schöne Wetter eine Rolle, das Aggressionen gar nicht erst aufkommen lässt.

Sie fühlen sich also nicht belästigt durch die vielen Fernseher auf der Straße und in den Kneipen?

Nein, so etwas ist ja auch einmal ganz schön. Dagegen habe ich nichts.

Und die vielen schwarz-rot-goldenen Fahnen an den Autos?

Ich habe nicht den Eindruck, dass das einen nationalistischen Zug hat – das könnten auch Schweizer Fahnen sein, das bewegt sich auf der gleichen Ebene. Ich hoffe nicht, dass sich der Ton ändert, sollte die deutsche Mannschaft öfter gewinnen.

Haben Sie selbst denn schon ein Spiel gesehen?

Nein, aber das mache ich sicher noch. Wenn ich wieder einen Fernseher in meiner Nähe habe, irgendeins gegen Ende bestimmt.

INTERVIEW: DANIEL BAX