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Archiv-Artikel

Einfach besser gemacht

SCHULPOLITIK Nachdem Brandenburgs Schüler in einem Vergleichstest zu schlecht abschnitten, änderte das Kultusministerium die Korrekturvorschriften. Auch andere Länder hübschen ihre Schulstatistiken auf

Selbst Abituraufgaben sind in NRW ohne grundlegendes Fachwissen zu lösen

BERLIN taz | Die Loreley drohte Brandenburgs Schülern zum Verhängnis zu werden. In den landesweiten Vergleichsarbeiten, die alle Sechstklässler im November schrieben, scheiterten unerwartet viele von ihnen auch an einem Diktat über die Sagengestalt vom Rhein.

Als sich Schulen beim Bildungsministerium über die zu hohen Anforderungen der Arbeit beschwerten, änderte das Haus von SPD-Ministerin Martina Münch einfach die Korrekturvorschriften für einige Aufgaben. Statt acht mussten Schüler beispielsweise nur noch sechs Wörter in das Loreley-Lückendiktat orthografisch richtig eintragen, damit die Aufgabe als gelöst galt. Dies geht aus den geänderten Vorschriften hervor, die der taz vorliegen. Die Noten schnellten danach nach oben.

Die landesweiten Vergleichsarbeiten sollen ermitteln, wie leistungsstark Brandenburgs Schüler und Schulen sind. Seit 2007 müssen alle Sechstklässler die 45-minütigen Tests in Mathematik und Deutsch schreiben. Die Ergebnisse fließen in ihre Halbjahresnote ein. Sie ist für den Übergang auf weiterführende Schulen entscheidend. In Brandenburg brauchen Schüler einen Notendurchschnitt von 2,3 in den Hauptfächern, um für das Gymnasium empfohlen zu werden. Etwa die Hälfte eines Jahrgangs schafft das.

„In diesem Jahr waren die Maßstäbe einfach zu streng“, verteidigt Holger Breiding, Sprecher des Kultusministeriums, das Notentuning. Die Schüler hätten ein bis zwei Noten schlechter abgeschnitten als in den Vorjahren. Deshalb habe das Ministerium die Korrektur nach einer Woche gestoppt und neue Vorschriften erlassen. „Die Alternative wäre gewesen, die Arbeit neu schreiben zu lassen“, meint Breiding. „Das hätte aber für noch mehr Ärger und Aufregung gesorgt.“

Neben der Bewertung der Schüler dienen die Vergleichsarbeiten auch dazu, „die Qualität von Schule zu sichern und Lernergebnisse zu verbessern“. So steht es jedenfalls in den organisatorischen Hinweisen des Landesinstituts für Schule und Medien (Lisum), das die Vergleichsarbeiten entwickelt. In seinen jährlichen Evaluationen leitet das Lisum dem Ministerium auch weiter, welche Schulen schwache Ergebnisse zeigen und deshalb von der Schulaufsicht begleitet werden müssten.

Aber was, wenn aus schwachen plötzlich akzeptable Leistungen werden? „Die Arbeiten hatten keine herausgehobene Funktion“, wehrt Breiding ab.

Genieren müsste sich Brandenburg eigentlich nicht. Auch andere Länder hübschen ihre Schulstatistiken auf. „Die Bundesländer führen offenbar einen Wettlauf um die höchsten Abiturientenquoten“, meint Hans Peter Klein. Er lehrt Didaktik der Biowissenschaften in Frankfurt am Main und untersuchte unter anderem Zentralabituraufgaben für Abiturienten in Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Dabei stellte er fest, dass insbesondere die fachlichen Anforderungen mit steigenden Abiturientenzahlen sinken.

So seien selbst im Fach Mathematik des Zentralabiturs nicht nur in Nordrhein-Westfalen Aufgabenteile mit „einer Mischung aus Alltagswissen und einer gewissen Cleverness zu lösen“, da sich die Antwort in der Aufgabenstellung verberge. „Ein grundlegendes mathematisches Fachwissen braucht der Schüler in diesen Teilaufgaben nicht einzubringen. Solche Aufgabenformate lassen weder ein Scheitern zu, noch kann man sich an diesen auszeichnen“, so Klein.

Brandenburg will im nächsten Jahr auf die zentralen Vergleichsarbeiten verzichten. Das Schulgesetz werde geändert, weil sich gezeigt habe, dass die Arbeiten viel Aufwand bei geringem Nutzen machten, erläutert Ministeriumssprecher Breiding. An der Durchschnittsnote als entscheidendem Auslesekriterium für die weiterführende Schule werde man aber festhalten. „Wir wissen von Eltern und Schülern, dass sie Noten ganz gut finden“, sagt Breiding. Sie sollten aber nicht demotivieren.

ANNA LEHMANN