Leuchtende Leidenschaft

BERLINISCHE GALERIE Für Kultursenatoren eine Nervensäge, für andere ein enthusiastischer Kunstvermittler: Jörn Merkert wird als Direktor verabschiedet

Seine Begeisterung ist immer noch ansteckend. Nur, dass Jörn Merkert, 23 Jahre lang Direktor der Berlinischen Galerie, seinen Enthusiasmus jetzt nicht mehr professionell einsetzen muss. Am Sonntag halten andere Reden auf ihn, wenn er mit einem Sommerfest der Berlinischen Galerie in den Ruhestand verabschiedet wird.

Sein Enthusiasmus war ein wichtiges Instrument in der Vermittlung der Kunst und in der Steuerung der Museumsgeschicke. Merkert brauchte diese Gabe schon allein für die vielen Danksagungen an Stifter, Mäzene oder Künstlerwitwen, auf deren Unterstützung das Museum, 1975 von einem privaten Verein gegründet, lange angewiesen war. Er konnte sich zum Pathos steigern, wenn er über die von den Nationalsozialisten verfolgten Künstler, Dadaisten oder russischen Avantgardisten redete, deren Wiederentdeckung, Erforschung und Präsentation bis heute zu den, wie Merkert sagt, „nobelsten“ Aufgaben der Berlinischen Galerie gehört. Nach einer solchen Rede sah man sich in der Begegnung mit der Kunst immer auch vom Atem der Geschichte gestreift.

Merkert konnte sich aber auch ins Polemische wenden, wenn es nötig war, und das war es oft in den 90er Jahren, als das Museum seine Räume im Martin-Gropius-Bau verlor und sieben Jahre lang in wechselnden Depots auf ein eigenes Haus und die Wiedereröffnung warten musste. Für vier Kultursenatoren war Merkert die Nervensäge, die dem erhebenden Hauptstadtgefühl den Boden wegzog. Sein Museum glich einem versenkten Leuchtturm, bis unter Kultursenator Thomas Flierl ein stadteigener Bau, eine ehemalige Lagerhalle in Kreuzberg, zum Museum ausgebaut und 2004 eröffnet wurde.

Sehe ich in meinen Bücherregalen die Kataloge der Berlinischen Galerie, dann weiß ich wieder, wie viel ich dort gelernt habe: über die Kunst und vor allem über die Bedingungen ihrer Entstehung. Die Sammlung bündelt das Drama der Kunst im 20. Jahrhundert. Das beginnt mit allen utopischen Entwürfen der 20er Jahre, als Künstler aus Osteuropa die Stadt erstmals zu einer internationalen Metropole machten. Sie legt Vergrößerungsgläser auf die Bruchstellen, die vertriebenen und ermordeten Künstler, aber auch auf die stillen Neuanfänge in den 50er Jahren, die ohne musealen Schutzraum kaum noch erinnerbar wären. Auch die Seltsamkeiten der Kunstszenen der geteilten Stadt bleiben hier nachvollziehbar. Dass man manchmal spürte, dass Merkerts Leidenschaft der Vergangenheit mehr als der Gegenwart galt, teilt er mit vielen Berufskollegen. Jüngere Kunst ans Haus zu holen, ist deshalb ein Auftrag an seinen Nachfolger Thomas Köhler.

KATRIN BETTINA MÜLLER