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Archiv-Artikel

Yamina Mechri

TUNESISCHE STIMMEN 4 Die Kulturmanagerin: Kein Muss, sondern eine Entscheidung

INTERVIEW SARAH MERSCH

Über sich Ich bin jemand, der zweimal sein Lebensprojekt radikal geändert hat. Das erste Mal, als ich das Studium beendet habe, obwohl ich eigentlich auf einem geraden Weg zu einer erfolgreichen Universitätskarriere war. Ich dachte, ich würde es vielleicht irgendwann wieder aufnehmen, aber ich hatte nie den Mut dazu. Und das zweite Mal, als ich mich nach mehr als fünf Jahren entschieden habe, meine Karriere im Medienbereich aufzugeben, obwohl ich dabei war, etwas Tragfähiges aufzubauen. Nun mache ich etwas, was nicht unbedingt naheliegend und einfach ist. Ich arbeite im Kunstbereich und manage Musik-, Film- und Theaterprojekte.

Kurzbio: Yamina Mechri, 30, ist im Kunst- und Kulturbereich tätig. Im Herbst 2013 organisiert die Generalsekretärin der NGO Tun’Act das erste tunesische Jugendparlament. Die studierte Literaturwissenschaftlerin begann ihre berufliche Karriere im Filmbereich. Nach fünf Jahren als Programmdirektorin eines privaten Fernsehsenders machte sie sich 2013 als Kulturmanagerin selbständig und organisiert Projekte im Bereich der audiovisuellen Kunst. Sie bloggt unter From the cloud number 9. (http://louwings.blogspot.com/)

Was bedeutet für Sie Emanzipation?

Emanzipation bedeutet zunächst einmal die Emanzipation des Geistes, sich für Kultur und Bildung zu interessieren. Das ermöglicht erst persönliche Freiheiten. Zu Emanzipation gehört aber auch der Respekt für das Gegenüber, den anderen. Emanzipiert zu sein ist allerdings kein Muss, sondern eine bewusste Entscheidung.

Wer oder was hat Ihre eigene Emanzipation beflügelt?

Meine Erziehung war sehr offen. Meine Mutter hat uns gezeigt, was unsere Verantwortung und unsere Pflichten sind. Gleichzeitig hat sie uns immer die Wahl gelassen, selbst über unsere Zukunft zu entscheiden. Ich habe eine Schwester und einen Bruder, unsere Eltern sind Universitätsdozenten. Aber es ging nicht darum, gute Noten zu haben, sondern dass wir uns dafür interessieren, was wir machen. Und gleichzeitig mussten wir bei all dieser Freiheit die Verantwortung für unsere Entscheidungen übernehmen, uns der Konsequenzen bewusst sein, die dies auf uns und unser Umfeld haben würde. Denn Emanzipation bedeutet auch, über unser Handeln und seine Konsequenzen für andere nachzudenken. Emanzipiert zu sein bedeutet nicht, egoistisch, impulsiv und exzessiv zu sein oder gar zu provozieren. Meine Emanzipation ist langsam entstanden: Irgendwann kommt man an den Punkt, wo man weiß, wer man ist und was man will und was das für einen selbst und sein Umfeld bedeutet.

Was heißt für Sie Emanzipation im persönlichen Bereich?

Wirklich emanzipiert war ich an dem Tag, an dem ich finanziell unabhängig geworden bin. Als Frau in einer arabischen, patriarchalischen Gesellschaft habe ich mich erst unabhängig gefühlt, als ich eine Arbeit und ein Gehalt hatte und mein Leben selbst in die Hand nehmen konnte. Da habe ich verstanden, dass ich eine Position innerhalb der Gesellschaft einnehme, denn Emanzipation funktioniert auch über den Blick des anderen auf einen selbst, was sie in dir sehen, dir zugestehen.

Was bedeutet für Sie die Emanzipation Tunesiens?

Für mich ist der entscheidende Aspekt das bürgerschaftliche Engagement, die Zivilgesellschaft. Wenn die Tunesier sich endlich als Bürger und nicht als Untergebene wahrnehmen, dann können wir einen großen Schritt nach vorn machen. Die meisten von uns sind nämlich am Tag nach der Revolution als Staatsbürger aufgewacht, ohne zu wissen, wie das eigentlich geht. Wir lernen das gerade. Und das sehe ich sehr positiv.