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Archiv-Artikel

Eltern giften zurück

Interessengemeinschaft kämpft gegen Gift in Klassenräumen und für bundesweite Vernetzung

Sie sitzen nicht an Tischen und lernen, sondern kleben an der Wand, verstecken sich im Gemäuer und verpassen keine Unterrichtsstunde: Gifte im Klassenraum. Doch der organisierte Widerstand gegen Schimmel, PCB und Lösungsmittel in Schulen hat einen neuen Namen: www.giftschulen.de.

Die Interessengemeinschaft umweltgeschädigter Schüler und Lehrer einer Gemeinschaftsschule aus dem Eifelort Nideggen versucht, die Schulgift-Protestler bundesweit zu vernetzen. Seit vier Tagen ist die speziell dafür gestaltete Kontaktseite online. Grund: Den Kampf gegen die Windmühlen der kommunalen Bürokratie haben Lehrer und Eltern von vergifteten Schulen schon geprobt. Aber meistens kämpft jeder für sich allein. Was an der Nachbarschule oder in der Nachbargemeinde passiert, ist oft nicht bekannt.

Dabei ist das Potential an potentiellen Bündnispartnern riesig: 5.000 Schulen sind nach Schätzungen des Deutschen Städtetags bundesweit belastet. Der Sanierungsbedarf allein für die nordrhein-westfälischen Schulen wird auf 300 bis 400 Millionen Euro geschätzt. „Im Prinzip ist jede Schule, die in den 60er und 70er Jahren gebaut worden ist, Schadstoff verdächtig“, sagt Klaus Hebborn, Beigeordneter für Bildung und Kultur beim Deutschen Städtetag. Verantwortlich für den Bau und die Instandhaltung sind die häufig unter chronisch Geldsorgen leidenden Kommunen.

Und die gehen oft nach demselben Muster vor, wenn es darum geht Sanierungen zu verhindern und Kosten zu sparen: „Die Verantwortlichen wimmeln ab: Die Symptome seien reine Einbildung, nur die empfindlichen Kinder würden sich beschweren. Oder man sagt, die Schadstoffbelastung kommt von Zuhause und nicht von Seiten der Schule“, sagt Klaus Ladwig, Vorstand der Nidegger Interessengemeinschaft. Auch die typischen Krankheitssymptome bei Schülern und Lehrern sind meistens die gleichen: Kopfschmerzen, Übelkeit, Konzentrationsschwächen und Lungenprobleme. Jedoch gibt es ein Problem: „Es gibt keine Richt- und Grenzwerte in diesem Bereich“, ärgert sich Ladwig.

Eine Zusammenarbeit der Betroffenen könnte hier mehr Druck entwickeln. Ladwig träumt von bundesweiten Aktionen. Schulboykott ist einer seiner Pläne. So soll der Rechtsanspruch der Schüler und Lehrer auf ein schadstofffreies Schulumfeld in die Realität umgesetzt werden. STEPHAN GROßE