: Schnee im Mund
GEFRORENES Was als Eis verkauft wird, möchte man geschmolzen nicht essen. Ein Lob dem Parfait
■ Zutaten (zwei Pers.): 250 g Erdbeeren, 30 g Puderzucker, 2 Eigelb, 1 TL abgeriebene Orangenschale, 200 ml Sahne, Inneres einer Vanilleschote
■ Zubereitung: Erdbeeren pürieren. Puderzucker und Eigelb über einem Wasserbad dickcremig schlagen – danach so lange schlagen, bis die Masse kalt ist. Erdbeerpüree und Orangenschalen unter die Eimasse heben. Sahne und Vanille steif schlagen, Sahne unter die Erdbeermasse heben.
■ Und jetzt?: Kastenform mit Klarsichtfolie ausschlagen und die Parfaitcreme hineingeben – man kann auch Muffinförmchen benutzen. Das Ganze kommt nun für zehn Stunden ins Gefrierfach.
■ Nicht vergessen: Parfait vor dem Servieren aus der Form stürzen und portionsweise anrichten. Mit Erdbeeren und Schlagsahne anrichten. Oder: Sauerrahm mit etwas Zucker und Zitronensaft schaumig rühren – und darin das Parfait betten.
VON TILL EHRLICH
Eisgenuss beruht auf der Metamorphose von winzigen Eiskristallen – einer aggressiven Schmelze, die im Mund Gefrorenes in Klebriges verwandelt. Das erinnert an das Staunen eines Kindes, das sich Schnee in den Mund steckt und sich freut, dass aus dem Eiskalten unter einem leicht ziehenden Schmerzgefühl eine Flüssigkeit von behaglicher Wärme entsteht. Auch das musartige Aussehen und die einförmige Konsistenz von Eiscreme lassen an Babybrei denken.
Wenn Eiscreme im Mund süß schmilzt, ist der Temperaturkontrast zur Körpertemperatur so hoch, dass die geschmackliche Wahrnehmung fast unterdrückt wird. Anders als Schokolade oder Gelee ist es kein sanftes Schmelzen, bei dem man Feinheiten herausschmecken kann. Stattdessen löst Speiseeis am Gaumen einen kleinen Schock aus. Dieser verhindert, dass man etwas anderes wahrnimmt außer groben Geschmacksrichtungen und vergleichbar starken sensorischen Reizen wie etwa der Knusprigkeit von Waffeln oder der Splitter von Krokant und Schokolade.
Begriffe wie Speiseeis oder Eisspeise treffen die Sache kaum. Gefrorenes lässt sich zwar verspeisen, aber man kann es nicht ernsthaft als eine Speise bezeichnen. Die Bestandteile eines industriell hergestellten Eises sind in der Regel so dürftig, dass man sie sich bei Zimmertemperatur nicht freiwillig einverleiben wollte. In geschmolzenem Zustand ist es eine gefärbte, zuckrige, aromatisierte, wässrige oder fettige Chemiesoße, die schnell Ekel hervorruft.
Dass Eis überhaupt mit Genuss in Verbindung gebracht wird, beruht weitgehend darauf, dass die orale Schmelze die olfaktorischen Sinne über die Substanzlosigkeit der Eismasse hinwegtäuscht. Ein weiterer Irrtum ist, dass industrielle Eiscreme erfrischt oder den Durst löscht, dazu ist sie in der Regel zu süß. Das Lecken und Schlecken von knallbuntem Eisbrei scheint primär orale und kindliche Bedürfnisse zu befriedigen und löscht außerdem schnell den Heißhunger auf Zucker.
Speiseeis ist ein saisonales Geschäft mit Milliardenumsätzen, der Konsum steigt stetig. Industrielle Eiscreme dominiert den Eismarkt und prägt die Erwartungen des Eiskonsumenten. Dennoch lassen sich mit wenig Aufwand und einigen Handgriffen Parfaits und Sorbets selbst herstellen, die interessant schmecken können.
Die Herstellung von Eiscreme oder Sorbet beruht auf einem Trick: Die Wasserkristalle der Eismasse werden beim Frieren am Wachsen und Größerwerden gehindert. Dafür werden unter ständigem Schlagen oder Rühren Luftblasen in die Eismasse eingebracht, was die Kristallstrukturen „zerschlägt“ und Geschmeidigkeit erzeugt. Zudem bewirken Emulgatoren wie Eigelb oder Geliermittel wie Agar-Agar, Gelatine oder Xanthan (E-415), dass Wassermoleküle gebunden und so zusätzlich an der Bildung größerer Kristalle gehindert werden. Resultat ist ein gefrorener, aufgeschäumter Brei, der aus winzigen Wasserkristallen und Luftmolekülen besteht. So wird eine Eismischung weich, cremig und locker.
Beim Eismachen wird das Würzen mit zunehmender Kälte schwieriger, weil die Moleküle der Aromen unbeweglicher werden und die Aromenintensität reduzieren. Je kälter eine Eismasse serviert wird, desto stärker muss sie gewürzt beziehungsweise aromatisiert sein.
Die klassischste Form des Eises ist Parfait oder Halbgefrorenes. Bei dieser Eisart erzeugt geschlagene Sahne die gewünschte Cremigkeit und Lockerheit der Eismischung. Die Emulsion entsteht mit Eigelb, das mit Zucker in heißem Wasserbad zu einer dickschaumigen Masse aufgeschlagen und kalt gerührt wird. Darunter wird dann geschlagene Sahne gezogen. Diese Masse bildete früher die Grundlage für Eistorten und sogenannte „Eisbomben“, die auf Spitzendeckchen aus Papier serviert wurden. Der Name wurde wohl von den konischen, oben abgerundeten, Gefrierbüchsen abgeleitet, in denen die Schaummasse geeist wurde.
Sorbet, auch Scherbet genannt, ist leichteres und weicheres Eis. Es wird meist ohne Sahne aus pürierten Früchten und Likör hergestellt. Diese Masse wird nur leicht geeist. Früher wurden halbflüssige Sorbets als Erfrischungsdrinks besonders bei langen Menüs eingesetzt, um den Appetit nach dem oft schweren Fleischgang wieder zu wecken. Heute haben Sorbets in der Regel eine festere Konsistenz, oft sind es weiche Kugeln, die als Dessert serviert werden.
Die Molekularküche kombiniert Wissenschaft und Gastronomie und gern auch eiskalte Sorbets mit heißen Speisen. Etwa Rehbraten mit Preiselbeersorbet. Es ist eine Mode geworden, die auf einem manieristischen Spiel mit Temperaturen und Erwartungen beruht. Begonnen hat damit Ferran Adrià, ein Virtuose der gefrorenen Schäume, der Bizarres ersann wie Sorbet aus geräuchertem Mais mit flüssigem Toffee, gefrorene Wassermelonen-Shots oder Eis von gegorener Milch mit Brausepulver.
Die klassischen Parfaits sind indes weitgehend verschwunden. Dabei hat etwa ein Erdbeerparfait den zeitlosen Charme, dass es am besten schmeckt, wenn man es selbst macht. Es lässt sich einfach herstellen, man braucht keine Eismaschine dazu, nur ein Gefrierfach, frische Erdbeeren, Eigelb, Vanilleschote, Sahne, Zucker und einen Schneebesen.