: Sorge um die Sittlichkeit
INDEX Die Reihe „Verboten! Filmzensur in Deutschland“ im Zeughauskino bietet einigen Aufschluss über den Wandel der Gesellschaft hierzulande
Kein Reinkommen, Krawattenzwang. Der pflichtversessene Mann am Einlass zum Tanzabend zeigt sich gegenüber den zwei Jungs in Lederjacke störrisch. Auch sein Vorgesetzter verweist auf Anweisungen, denen er zu folgen habe: Nur mit Krawatte steppt der Bär.
Überhaupt ecken diese beiden Kerle im Stalinbauten-Ostberlin der 60er Jahre überall an. Das vermeintliche Arbeiter-und-Bauern-Paradies: ein Ort der Paragrafen, Verordnungen und Auflagen. Motorrad reparieren in der Waschküche? Schon naht der Hauswart mit VoPo im Schlepptau. Ein bisschen unregulierte Freiheit finden die Jungs auf dem Dach der Stalinbauten, über sich nichts als Himmel.
„Wär’n wir bloß abgehaun wie die andern.“ 1965 war das der DDR zu eindeutig: Dem Tauwetter setzte die SED ein jähes Ende; fast die ganze Defa-Jahresproduktion blieb unter Verschluss. Zu offen kamen darin die Widersprüche zwischen Staatsrhetorik und Alltag zutage, so auch in diesem schönen Film, Gerhard Kleins und Wolfgang Kohlhaas’ „Berlin um die Ecke“. Die Dreharbeiten wurden abgebrochen, der Film blieb Rumpf, ganz bewusst auch nach seiner späten Fertigstellung 1990. Wohl auch deshalb wirkt „Berlin um die Ecke“ mit seinem hektischen Schnitt, der sprunghaften Erzählweise und den Spannungen zwischen Bild und Ton wie ein Ostberliner Nouvelle-Vague-Nachzügler.
Passend, dass sich die Zensur derart kenntlich in die Form eingeschrieben hat. Bei anderen Filmen dieser seit Neujahr im Zeughaus gezeigten, von CineGraph kuratierten Reihe über Filmzensur in Deutschland ist dies nicht der Fall.
Der politische Kontext von „Casablanca“ etwa wurde zur verspäteten BRD-Premiere 1952 von der Synchronisation kassiert: Ging es zuvor noch um Nazis, Kollaborateure und geflohene Juden, bramarbasierte man nun, wohl aus Rücksicht auf die frisch besiegten Deutschen, von „Deltastrahlen“ und machte aus dem Stoff eine unverbindliche Agentenstory. Zensur ist eben nicht nur Staat und Sittenwächtern vorbehalten.
Im Grunde ist die Filmgeschichte auch als eine Geschichte der Filmzensur begreifbar: Was auf die Leinwand kommt, formiert sich zwischen dem, was das herrschende Gefüge ins Off drängt, und dem, was sich ihm unterjubeln lässt. Entsprechend aufschlussreich für eine Gesellschaft und ihren Wandel ist es, ihre ästhetischen Hervorbringungen von der Zensur her zu perspektivieren.
Insbesondere um die Sittlichkeit sorgte man sich in Deutschland lang: Die Luder- und Tavernenromantik in der „Großen Freiheit Nr. 7“ war 1943 Goebbels ein arger Dorn im Auge. Wenige Jahre später warfen Burschenschaftler wegen Hildegard Knefs im hübsch groschenheftigen Dirnen-Melodram „Die Sünderin“ vage entblätterten Busens Stinkbomben, ein sich übers Maß erregender Pfarrer räumte aus Protest seinen Sitz bei der FSK. Keine 20 Jahre später, mit der sogenannten Sexwelle um 1968, bargen Nuditäten zwar kaum noch solchen Sprengstoff; doch die FSK bemäkelte im Fall des sehenswerten Kuriosums „Du – Zwischenzeichen der Sexualität“ noch immer, dass das charmant verknarzt geratene sexualpädagogische Plädoyer für mehr Toleranz trotz Präsenz üblicher Experten und einer himmelschreiend hölzernen Beate Uhse noch immer zu frivol geraten sei.
Peter Fleischmanns international gefeierter Sexfilm-Parodie „Dorotheas Rache“ verweigerte sich der deutsche Kulturbetrieb der 70er Jahre resolut: Die Zeit bestellte gar eine schwielige Kritik bei Martin Walser. So landete der Film notgedrungen in jenem Milieu, dessen Zynismus eigentlich sein Thema war.
Schade nur, dass die ansonsten hervorragende Reihe die jüngere Entwicklung übergeht. Der damit begünstigte Eindruck, Filmzensur sei eine Sache von gestern, trügt. Seit den 80ern pflügen sich die Behörden mit reger Betriebsamkeit durchs Horrorgenre. Zum spektakulärsten Übergriff kam es 1991, als die Polizei eine Münchner Vorführung von Jörg Buttgereits „Nekromantik 2“ stürmte. Erst eine filmwissenschaftliche Expertise entwand den nun offiziell als Kunst eingestuften Film dem Zugriff der Justiz. Thomas Groh
■ „Verboten! Filmzensur in Deutschland“: Zeughauskino, bis 2. 2., Informationen unter www.dhm.de/kino/verboten.html