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Archiv-Artikel

Das Ende einer Affäre

Wie man sich von der Spitze der Charts aus ein ganz neues Publikum sucht: Erst haben sie Präsident Bush beleidigt, nun wenden sich die Dixie Chicks mit „Taking The Long Way“ von ihren alten Fans ab

Es geht um die Identität von Country: Die Dixie Chicks haben den Vertrag gebrochen, der Sänger an ihr Publikum bindet

VON THOMAS WINKLER

Für einen gewissen „Verlch“ sind sie „feige Tussies“. „Boomer“ hält sie für „doppelzüngige Geisteskranke“. Ein „captndalton“ empfiehlt ihnen, „das Maul zu halten, zu singen und ansonsten hübsch auszusehen“. Und jetzt hat auch noch Pat Boone was gegen die Dixie Chicks: „Es ist empörend, unseren Präsidenten so schlecht zu machen.“

Von den Diskussionsforen im Internet bis zu abgewrackten Schlagersängern ist sich das konservative Amerika einig: Die Dixie Chicks und ihr neues Album „Taking The Long Way“ (Columbia/SonyBMG) hat der Teufel geschickt, um das Land der Freien, die Heimstatt der Tapferen heimzusuchen. Niemand sonst löst in den USA momentan solch heftige Emotionen aus wie das Countrymusik spielende Trio aus Texas: Kein Bruce Springsteen, obwohl der mit „We Shall Overcome – The Seeger Sessions“ eine ganzes Album voller Protestsongs aufgenommen hat, die ausdrücklich gegen die aktuelle Administration gerichtet sind; kein Neil Young, dessen neue Platte „Living With War“ mit Bush abrechnet; kein wieder mal aufrechtes Pearl-Jam-Album und erst recht kein vorsichtig mäkelnder Paul Simon.

Dabei scheint der Anlass für den Furor relativ simpel. „Der Vorfall“, wie er im Sprachgebrauch der Dixie Chicks mittlerweile genannt wird, ereignete sich am 10. März 2003, genau zehn Tage vor dem Beginn des Irakkrieges. Sängerin Natalie Maines ließ bei einem Auftritt in London das Publikum wissen, „dass wir uns schämen, dass der Präsident der Vereinigten Staaten aus Texas kommt“. Es dauerte einige Tage, bis die Nachricht im Heimatland der Band wahrgenommen wurde, aber die Reaktion war heftig: Maines’ Äußerung machte Schlagzeilen, empörte Anrufer sorgten dafür, dass die meisten Country-Sender die Songs der Dixie Chicks aus dem Programm verbannten, die damals aktuelle Single „Travelin’ Soldier“ sank in den Country-Charts innerhalb einer Woche von Platz 1 auf 63, Talkshowteilnehmer empörten sich, öffentliche CD-Verbrennungen wurden organisiert, Maines und ihre beiden Kolleginnen, die Schwestern Emily Robison und Martie Maguire, erhielten Todesdrohungen. Selbst eine halbgare Entschuldigung von Maines nutzte nichts: Die zu diesem Zeitpunkt erfolgreichste Countryband Amerikas schien erledigt.

So hoch schlugen die Emotionen, dass das Time Magazine nun, da das Trio ein neues Album herausbringt, die Dixie Chicks zum Titelthema erhob. Allzu oft kommt es nicht vor, dass das Politmagazin sein Cover für Musiker freiräumt. Eine gute Platte reicht da nicht aus, Präsidentenbeleidigung aber ist ein Anfang: Der Rapper Kanye West war der Letzte, dem die Ehre zuteil wurde, als er George W. Bush rassistisch motivierte Versäumnisse in der Katastrophenbewältigung nach Hurrikan „Katrina“ vorwarf.

So blickten die Dixie Chicks ernst in Millionenauflage von den Kiosken Amerikas. „Radical Chicks“ hatte Time getitelt und den drei Frauen Gelegenheit gegeben, ihre Kritik zu erneuern: „Ich nehme meine Entschuldigung zurück“, sagte Maines, „der Mann hat keinerlei Respekt verdient.“ Auch die erste Single, „Not Ready To Make Nice“, stellt klar, dass die drei nicht klein beigeben wollen: „Forgive, sounds good / Forget, I’m not sure I could / They say time heals everything / But I’m still waiting […] It’s too late to make it right / I probably wouldn’t if I could / Cause I’m mad as hell.“ Im selben Album singen sie: „I don’t wanna hear nothing else / About killing and that it’s god’s will.“ Aber nicht nur der Krieg wird kritisiert: Maguire verabschiedete sich im Time-Interview ausdrücklich von der bisherigen Zielgruppe, den wertkonservativen Country-Anhängern: „Solche Fans wollen wir nicht.“

Und die wollen die Dixie Chicks nicht mehr: Zwei Tage nachdem Time mit den Dixie Chicks auf dem Titel erschien, fand in Las Vegas die alljährliche Preisverleihung der Academy of Country Music statt. Der größte Lacher des Abends kam, als Reba McEntire, ein konservativer Countrystar und als Moderatorin des Abends engagiert, einen billigen Scherz auf Kosten der nicht eingeladenen Dixie Chicks machte. Die Country-Gemeinde hat ihre vormals erfolgreichsten Töchter ins Exil geschickt.

Dort allerdings werden sie mit offenen Armen aufgenommen: Die Single „Not Ready To Make Nice“ kletterte zwar nur bis auf Platz 23 der Billboard-Charts, und der Vorverkauf für die US-Tour im August und September lief nur schleppend an. Das Album allerdings katapultierte sich trotz – oder gerade ob – der Kontroverse problemlos nicht nur an die Spitze der Country-Charts, sondern stieg auch auf Platz eins der normalen Charts ein. 526.000 Exemplare wurden in der ersten Woche abgesetzt. Das Konzert in Toronto war nach acht Minuten ausverkauft, ein Zusatztermin wurde anberaumt: Im liberalen Kanada ist die Liebe zu den Chicks ungebrochen.

Auch wenn die Unterstützer-Quote für Bush nach den neuesten Umfragen auf 29 Prozent gesunken ist, blieb es trotzdem ein Risiko für die siebenmaligen Grammy-Preisträgerinnen, sich erneut an die Spitze dieses Aufstands der Aufrechten zu setzen. Denn anders als Bruce Springsteen oder Neil Young, die mit ihren aktuellen Veröffentlichungen nur die Bedenken ihres Stammpublikums artikulieren, müssen sich die Dixie Chicks eine vollkommen neue Kernzielgruppe suchen. Die alte nämlich ist, das hat die Marktforschung ergeben, weiß, lebt auf dem Lande, neigt der politischen Rechten zu und hasst die Dixie Chicks seit drei Jahren von Herzen. „Dies ist keine Auseinandersetzung um Präsident Bush oder die Redefreiheit, sondern eine Auseinandersetzung um die Identität der Countrymusik“, schrieb die New York Times. „Es gibt einen Vertrag, der Country-Sänger an ihr Publikum bindet, und die Dixie Chicks haben diesen gebrochen.“

Dabei hätte man schon vorher ahnen können, dass die Dixie Chicks sich nicht zu Hause fühlten im rechtskonservativen Wertespektrum, mit dem Country stets in Verbindung gebracht wird. Ihr bis zu dem notorischen „Vorfall“ bekanntester Song war „Goodbye Earl“, die Geschichte einer missbrauchten Ehefrau, die ihren Gatten ins Jenseits befördert und ohne Strafe davonkommt. Auch dass Robison am Banjo und Maguire an der Geige als Instrumentalistinnen reüssierten, widersprach den Konventionen im Country-Geschäft. Zudem klangen ihre Platten durch den Einsatz akustischer Instrumente und eine Rückbesinnung auf Bluegrass so traditionell, dass sie inmitten des schlagerhaft weich gespülten Nashville-Mainstream geradezu subversiv wirkten.

Mit „Taking The Long Way“ setzen die Dixie Chicks die Liberalisierung konsequent fort. Erstmals zeichnen Maines, Robison und Maguire bei allen Songs als Koautorinnen verantwortlich – immer noch undenkbar für die meisten Frauen in Nashville. Zudem engagierten sie mit Rick Rubin, Produzent und Retter der Karriere von Johnny Cash, genau den richtigen Mann, um sich einen modernen Sound und eine aufgeklärte Reputation zu verschaffen. Und Rubin tut, was er am besten kann: Er reduziert den Sound der Dixie Chicks auf seine entscheidenden Merkmale, arbeitet ihre Stärken heraus, die Harmoniegesänge, die gerade eben nicht glatt geleckten Ausflüge in den Pop, die sorgsam gesetzten traditionellen Elemente. Die kontrastieren hart mit den Inhalten der Songs: In „Lubbock Or Leave It“ rechnet Maines ab mit ihrem engstirnigen, spießigen Heimatstädtchen, und „So Hard“ ist der womöglich erste Song der Popgeschichte, der sich Unfruchtbarkeit zum Thema genommen hat. Ein Thema, das Robison und Maguire aus eigener Anschauung kennen: Die Schwestern konnten erst dank In-vitro-Fertilisationen schwanger werden und sind mittlerweile beide Mütter von Zwillingen.

Es ist wohl diese selbstverständliche Demonstration weiblichen Selbstbewusstseins, dass sich Maines und Mitstreiterinnen sich nicht mit der Rolle als Anziehpüppchen begnügen wollten, die Frauen traditionell in Nashville zugewiesen wird, die die Dixie Chicks tatsächlich von ihrer eigentlichen Zielgruppe entfernt hat. Sich vom Präsidenten zu distanzieren war für sie nur die logische Konsequenz der eigenen Haltung und, so Maines, „eine Befreiung“.