: 90 MINUTEN … MIT HANNO BALITSCH IM ZUG
„Manchmal denke ich schon, dass ich dabei sein könnte“
„Sie haben doch auch etwas mit Sport zu tun?“ Hanno Balitsch kommt durch den Waggon gehumpelt, wuchtet seine Sporttasche auf die Ablage und setzt sich. Anpfiff zu 90 Fußballminuten im ICE von Berlin nach Hannover. Tags zuvor ist Balitsch, Bundesligaprofi bei Hannover 96, in Berlin an der Leiste operiert worden. Jetzt ist er auf dem Weg nach Hause.
„Alles optimal gelaufen“, sagt er. „Zum Trainingsauftakt bin ich wieder fit.“ Bis dahin will Balitsch noch die WM genießen – als Zuschauer. Bei einigen Spielen war er schon im Stadion. „Karten sind ja kein Problem. Ich habe Beziehungen über den Verein.“ Von der Stimmung ist er begeistert. „Das ist schon etwas anderes als in der Bundesliga. Das tut ganz gut, da kommt man wieder bisschen auf den Teppich.“ Balitsch ist 25 Jahre alt. Bis vor drei Jahren galt er als einer der großen Hoffnungsträger des deutschen Fußballs. Als Michael Ballack von Bayer Leverkusen zum FC Bayern wechselte, wurde er als Nachfolger gehandelt. Unter Klaus Toppmöller gehörte er immer zum Aufgebot. Er war fester Bestandteil der U21-Nationalmannschaft. „Ich habe mit Huth, Hitzelsperger, Schweinsteiger und denen allen zusammen gespielt.“ Im Februar 2003 wird er von Rudi Völler in die Nationalmannschaft berufen und spielt gegen Spanien ein paar Minuten. „Manchmal denke ich schon, dass ich dabei sein könnte. Vor allem, wenn man sich anschaut, wen Klinsmann alles berufen hat.“
Als Klaus Augenthaler nach Leverkusen kam, war Balitsch seinen Stammplatz im defensiven Mittelfeld los. „Er wollte, dass ein erfahrener Mann vor der Abwehr spielt, da war es erst einmal aus.“ Carsten Ramelow wurde ihm vor die Nase gesetzt. Balitsch, schon lange kein Hoffnungsträger mehr, wurde in der Saison 2004/2005 für die Rückrunde nach Mainz ausgeliehen. Dort sollte er eine Führungsspielerrolle übernehmen. Doch die Kommunikation mit Jürgen Klopp klappte nicht. „Wie der es versteht, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren, das ist schon klasse.“ Im Vereinsalltag sei Klopp weniger locker. Nur wer zu den Lieblingsschülern des ZDF-Experten gehöre, dem höre Klopp zu. Alle anderen ignoriere er. Bei Hannover hat Balitsch in der vergangenen Saison 31 Spiele absolviert, „ein Superwert“. Er sieht sich wieder auf dem aufsteigenden Ast. „Die nächste EM ist schon ein Thema“, sagt er. „Es kommt natürlich darauf an, wer dann Trainer ist.“
Über Klinsmann und das Innenleben des Nationalteams lässt er sich genau informieren durch Per Mertesacker, seinen Hannoveraner Vereinskollegen: „Das hört sich schon gut an.“ Aber vieles bleibt für Balitsch ein Rätsel. „Das mit dem Gerede vom Stammplatz habe ich nicht verstanden. Wie kann er einen Metzelder nominieren, wenn der seinen Platz in Dortmund an den jungen Brzenska verloren hat. Dann muss er den doch mitnehmen.“ Dennoch ist er fasziniert von Klinsmann. „Irgendwie macht er doch alles richtig.“
Kurz vor dem Abpfiff dreht sich das Spiel. Balitsch fragt plötzlich. Wie es denn so sei als Reporter bei der WM. In Darmstadt, erzählt er, habe er einmal ein Schülerpraktikum bei der Zeitung gemacht. Das war während der WM 1998. „Superinteressant.“ Der Zug fährt in Hannover ein. Der ehemalige Hoffnungsträger humpelt davon.
ANDREAS RÜTTENAUER