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Archiv-Artikel

Nordische Maikäfer

SPRACHE In Berlin-Weißensee trifft sich die plattdeutsche Mundartgruppe „De Burrkäwers“

VON KAROLIN KORTHASE

Schietbüdel, Döskopp, Lorbass – die Liste der Kosenamen, mit denen mich meine Großmütter als Kind bedacht haben, ließe sich noch um einige Ausdrücke erweitern. Nicht unbedingt die schmeichelhaftesten Bezeichnungen, wenn man einen Blick auf die hochdeutschen Übersetzungen wirft: So heißt Schietbüdel nicht nur Kind, sondern auch Hosenscheißer, der Döskopp ist ein Dummkopf und der Lorbass ein Taugenichts oder Lümmel. Was auf Hochdeutsch vergleichsweise hart klingt, kann auf Niederdeutsch, umgangssprachlich kurz Platt genannt, durchaus liebevoll gemeint sein.

Seit ungefähr zwei Generationen wird die Sprache des Nordens kaum noch weitergegeben. Es ist vor allem die ältere Generation, die sie heute noch spricht und Platt auch in Mundartgruppen pflegt. Sogar in Berlin trifft sich seit 1995 einmal monatlich ein Zirkel Plattbegeisterter. Sie nennen sich „De Burrkäwers“, auf Hochdeutsch die Maikäfer.

Die zwölf Wahlberliner, die zwischen 52 und 82 Jahre alt sind, fühlen sich bei den Treffen „wedder en beten to Hus“, also wieder ein bisschen zu Hause. Bei den monatlichen Treffen in einem Seniorenzentrum in Berlin-Weißensee wird aber nicht nur geklönt. Neben Vorträgen zu geschichtlichen und literarischen Themen werden zum Beispiel auch eigene Texte zu Gehör gebracht.

Nostalgie im Netz

Für die Burrkäwers, die aus Niedersachsen, Mecklenburg und Westfalen kommen, geht es dabei auch um Heimatpflege: „Plattdeutsch ist eine heimelige und gemütliche Sprache“, sind sich die Mitglieder einig. Selbst das „Sie“ klinge anders, „nicht so reserviert“, erzählt einer der fünf Männer. In der Gruppe selbst würde man sich allerdings schon längst duzen. Seit 2009, um genau zu sein. So steht es in der detaillierten Chronik der Burrkäwers.

Fast alle Maikäfer sind regelmäßig im Netz unterwegs. Nostalgie und digitale Welten sind für sie ebenso wenig ein Widerspruch wie die Tatsache, dass die gemeinsame Sprache aufgrund der verschiedenen Herkünfte durchaus anders klingt. Nicht nur unterscheiden sich einzelne Worte voneinander, auch die Aussprache ist auf Rügen eine andere als etwa in Westfalen. „Towannert Platt“ nennt die Gruppe ihren Mundartenmix, der in der Berliner Fremde ein Stück Heimat schafft.

Schnack am Gartenzaun

In Deutschland sprechen höchstens noch 2,6 Millionen Menschen Platt. Nach Angaben des Bremer Instituts für niederdeutsche Sprache sind das etwa 50 Prozent weniger als noch vor 20 Jahren. Seit 1999 zählt es deshalb zu den geschützten Regionalsprachen. Ob es sich beim Niederdeutschen überhaupt um eine Sprache oder um eine Mundart handelt, ist unter Sprachwissenschaftlern umstritten. Es gibt zwar plattdeutsche Literatur, aber keine einheitliche Rechtschreibung. Außerdem ist Niederdeutsch seit der Verdrängung durch das Hochdeutsche im 16. und 17. Jahrhundert vor allem eine Sprache des Privaten, die am Gartenzaun oder beim Einkaufen gesprochen wird. Platt in der Schule? Lange Zeit undenkbar. Als zu groß wurde die Gefahr eingeschätzt, dadurch das Erlernen des Hochdeutschen zu erschweren.

Davon kann heute keine Rede mehr sein. Viele Schulen im Norden Deutschlands bieten Platt sogar als Unterrichtsfach an. Nur in den Familien – dort also, wo es für eine Sprache, die vom intimen Austausch lebt, viel wichtiger wäre – wird das Schnacken leider kaum noch gepflegt.

„Als Umgangssprache wird es wohl aussterben“, ist sich deshalb auch die Mundartgruppe in Berlin-Weißensee sicher. Unterrichten oder jemanden aufnehmen, der noch kein Platt spricht, kommt für sie aber trotzdem nicht in Frage. „Das hält uns ja auf“, meint einer der Burrkäwers. Und eine Frau fügt hinzu: „Das wäre einmal im Monat auch gar nicht zu schaffen.“

■  Karolin Korthase, Anklam–Berlin