: Da lohnt sich Atomstrom
WETTBEWERBSRECHT Durch die Beteiligung an der Stromproduktion können Firmen doppelt sparen. Die EU überprüft nun das zweifelhafte Subventionsmodell
■ 2010: Am 30. Juni ist Debatte, am 1. Juli erfolgt die Abstimmung im finnischen Reichstag über die Genehmigung für zwei neue Atomreaktoren. Die 15 Abgeordneten der Grünen werden dagegen stimmen. Die Mehrheit der Vierparteienkoalition aus Zentrum, Sammlungspartei, Grünen und Schwedischer Volkspartei, die über 126 der 200 Sitze verfügt, dürfte dies nicht gefährden, schon weil viele oppositionelle Sozialdemokraten für neue AKWs votieren wollen.
■ 2002: Die Grünen saßen schon einmal in einer Koalition, die einen Reaktorneubau genehmigte. Damals verließen sie die Regierung, diesmal werden sie bleiben. (rwo)
STOCKHOLM taz | 2001 fiel der erste AKW-Neubaubeschluss in einem westlichen Land nach der Tschernobyl-Katastrophe. In Finnland. Trotz katastrophaler Erfahrungen mit diesem Reaktorneubauprojekt „Olkiluoto 3“ folgt jetzt der Beschluss über zwei weitere Reaktorneubauten. In Finnland. Die Strombranche hatte sogar Anträge auf drei neue AKWs gestellt. Warum gerade in Finnland? Es sind nicht nur atomstromverliebte PolitikerInnen und eine unkritische Öffentlichkeit, die Finnland zu einem Lieblingsstandort der Stromkonzerne für Reaktorneubauten machen. Es gibt noch „Mankala“.
Dieses spezielle Subventions- und Steuersparmodell ist nach einer Stromschnelle im Fluss Kymi benannt. Bei einem dortigen Kraftwerk wurde es in den 1930er Jahren erstmals angewendet, und vom Obersten Verwaltungsgerichtshof wurde es vor einigen Jahren als zulässig abgesegnet. Erwirbt ein Industriebetrieb oder ein anderes Unternehmen Aktien an einer Strom produzierenden Gesellschaft, kann es von dieser einen diesem Aktienanteil entsprechenden Teil der fraglichen Stromproduktion zum Selbstkostenpreis beziehen. Für diese verdeckte Dividende müssen keine Steuern gezahlt werden. Und auf Unternehmensgewinne, die in die Strom produzierende Gesellschaft investiert werden, hat der Fiskus keinen Zugriff.
Eine Steuerumgehung und verdeckte Dividendenausschüttung sei dies, die mit dem EU-Wettbewerbsrecht und dem Verbot staatlicher Subventionen nicht in Einklang zu bringen seien, meinen Satu Hassi und Heidi Hautala. Die beiden Europaparlamentarierinnen der finnischen Grünen haben nun die EU-Kommission auf die „Mankala“-Spur gesetzt. Brüssel ist Mitte Juni in Helsinki vorstellig geworden und will von der Regierung eine Erläuterung dieses auch allgemeinen aktienrechtlichen Prinzipien widersprechenden Modells haben: Aktieneigentümer dürfen nämlich nicht bessergestellt werden als „normale“ Kunden. Sie werden dies aber durch den Strompreisrabatt.
„Mankala“ steckt als Finanzierungsmodell hinter dem derzeitigen Neubau „Olkiluoto 3“. Und auch den geplanten sechsten und siebten finnischen Reaktor wollen die Betreibergesellschaften Teollisuuden Voima (TVO) und Fennovoima über „Mankala“ finanzieren. Von großen Industriekonzernen bis zu kleineren Stromversorgern haben sich Dutzende Unternehmen an diesen beiden Betreibergesellschaften beteiligt. Und die Aussicht, Strom zum Selbstkostenpreis beziehen und gleichzeitig Steuern sparen zu können, ist ein wesentlicher Beweggrund für sie, das Risiko einer anteilsmäßigen Beteiligung an den Baukosten zu tragen. Ein Risiko, das die Stromkonzerne ansonsten allein wohl kaum eingehen würden.
Das „Mankala“-Modell habe eine „zentrale Rolle“ bei den Investitionen in neue Reaktoren gespielt, gab TVO-Direktor Risto Siilos kürzlich in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen YLE unumwunden zu: Würde die EU Finnland dazu zwingen, dieses Modell aufzugeben, hätte dies für künftige Investitionsentscheidungen vermutlich „bedeutende Folgen“. Dieses finnische Finanzierungsmodell sei einmalig in der westlichen Welt, meint der Energieanalytiker Mikko Kara. Es sichere der Industrie Konkurrenzvorteile durch Zugang zu billiger Elektrizität, mache aber zugleich Investitionen in energiesparende Technik weniger interessant.
Verbietet Brüssel „Mankala“, könnten sich alle Neubaupläne in Luft auflösen. Doch selbst wenn die EU-Kommission das Modell nicht kippen sollte: Ob die Mitfinanzierung über staatliche Subventionen und damit durch die SteuerzahlerInnen auch genügen wird, um einen Reaktorneubau profitabel zu machen, der nicht mehr zu einem ruinösen Festpreis geliefert wird, muss sich erst noch zeigen. Bei Olkiluoto 3 ließ sich das französisch-deutsche Konsortium Areva-Siemens auf einen solchen Festpreis von 3 Milliarden Euro ein. Der, wie sich mittlerweile herausstellte, allenfalls die halben Kosten deckt. Areva korrigierte in der vergangenen Woche die Verlustprognose für den Olkiluoto-Bau von bislang schon 2,4 Milliarden Euro um weitere 400 Millionen nach oben.
REINHARD WOLFF