: Ärzte lernen ganz demonstrativ
Tausende Praxen bleiben ab heute geschlossen. Mit einer Massenfortbildung protestieren Mediziner eine Woche lang gegen Sparpläne der Bundesregierung. Kliniken bleiben vom Streik unberührt
VON MATTHIAS LOHRE
Die Berliner werden in dieser Woche erneut mit weniger ärztlicher Hilfe auskommen müssen. Heute und morgen wollen niedergelassene Ärzte in den sechs südlichen Bezirken ihre Praxen schließen. Donnerstag und Freitag sollen ihre Kollegen im Norden folgen. Damit protestieren die Mediziner gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung und fordern Bürokratieabbau und eine bessere Vergütung.
Die erste Streikfront durchzieht die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg, Treptow-Köpenick, Steglitz-Zehlendorf und Neukölln. Unter der Rufnummer 31 00 32 22 informiert die Kassenärztliche Vereinigung Berlin, welche Praxen trotz des Streiks geöffnet bleiben. Wie viele der insgesamt 6.300 in Berlin niedergelassenen Ärzte mitmachen werden, ist unklar. An der jüngsten Protestwoche Anfang Februar hatten sich mehr als 3.000 Kassenärzte beteiligt.
Unter der Leitung des „Bündnisses Berliner Kassenärzte“ protestieren die Mediziner erneut gegen Pläne der Bundesregierung in der Gesundheitspolitik. Eines der verhassten Vorhaben trägt den spröden Namen Arzneimittelversorgungswirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) und soll die Mediziner dazu bringen, ihren Patienten weniger Medikamente zu verschreiben.
Offiziell firmiert der Streik der Praxisärzte als „Fortbildungsprogramm“ der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), das rein zufällig in diese Woche falle. Mehr als 1.200 Anmeldungen meldeten die Initiatoren in der vergangenen Woche. Die Massenfortbildung kommt so zustande: Offiziell können sich die niedergelassenen Ärzte den bundesweiten Streiks ihrer Klinikkollegen nicht anschließen, denn die streikende Gewerkschaft Marburger Bund vertritt nur die angestellten oder beamteten Ärzte, nicht ihre freischaffenden Kollegen.
Die Krankenkassen lehnen den Streik ab. Allzu viel „lediglich effekterhaschende Maßnahmen“ sieht die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassen und Krankenkassenverbände (Arge) beim Ärzteprotest im Spiel: „Patienten dürfen nicht zum Spielball von standespolitischen Interessen der Ärzte werden.“
Hingegen wird es an den Berliner Kliniken ruhig bleiben. Während in anderen Bundesländern auch dort der Kampf um Geld und Kompetenzen tobt, gilt an den 58 Standorten des Krankenhauskonzerns Vivantes bis zum 15. September die so genannte Friedenspflicht. Vivantes ist Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin, der eigene Tarifverträge abgeschlossen hat. Diese Verträge mit dem Marburger Bund gelten weiter.
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