: Voetbal totaal daneben
Die Niederländer sehen nach der Niederlage gegen Portugal die Schuld beim Schiedsrichter und in den „Tricks“ der Gegner. Dabei waren es die Oranjes selbst, die das Nickelige ins Spiel brachten
AUS NÜRNBERG MARKUS VÖLKER
Luiz Felipe Scolari, der große Emphatiker, war nicht sonderlich beeindruckt von diesem Match. „Ich kenne viele solcher Spiele“, sagte der Trainer der Portugiesen nach dem 1:0-Sieg. „In Argentinien ist Fußball oftmals Krieg – beim Copa Libertadores zum Beispiel.“ Die Kriegshandlungen, auf die Scolari Bezug nahm, spielten sich am Sonntagabend auf dem Rasen des Nürnberger WM-Stadions ab, im Achtelfinale der Holländer gegen die Elf Portugals.
Für einen fairen Kampf der Kicker sollte Schiedsrichter Valentin Iwanow aus Russland sorgen. Der Mann war damit allerdings überfordert. Sechzehnmal zeigte der Russe Gelb, viermal Rot. Das sind rekordverdächtige Zahlen. Eines hat der Unparteiische geschafft: Er geht in die Annalen der Dummpfeiferei ein. Die Schiedsrichterleistungen bei dieser WM sind eh nicht sonderlich gut, aber die hilflosen Strafaktionen, die Iwanow veranlasste, übertreffen selbst die Neuerungen eines Graham Poll, der den Kroaten Josip Simunic erst nach der dritten gelben Karte vom Platz gestellt hatte. „Einige Situationen waren widersprüchlich“, sagte Scolari, „besonders die Rote Karte für Deco.“ Der eminent wichtige Spielmacher der Portugiesen wird nach dieser farbigen Verschleißschlacht im Viertelfinale gegen England fehlen, wie auch Costinha, der bereits in der ersten Halbzeit herunter gestellt worden war – immerhin korrekterweise.
Der negative Impuls in diesem denkwürdigen Spiel ging freilich von den Holländern aus. Sie brachten das Nickelige ins Spiel: Auf der rechten Abwehrseite hatte sich der HSV-Profi Khaled Boulahrouz postiert. Sein Eisenfuß kam alsbald zum Einsatz. Das stollenbewehrte Teil bohrte sich in den rechten Oberschenkel des Seidenfüßlers Cristiano Ronaldo, der fortan nur noch humpelnd über den Platz zog; später musste er sogar ausgewechselt werden. Für diesen Kung-Fu-Tritt revanchierte sich der Portugiese Nuno Valente wenig später mit einem eingesprungenen Bruce-Lee-Streckfuß gegen einen holländischen Angreifer. Dafür sah er nicht mal Gelb. Erst später, als die Karten des Herrn Iwanow schon deutliche Gebrauchsspuren zeigten, durfte auch Nuno Valente in den Genuss einer Verwarnung kommen. „Es ist schade, dass in der zweiten Halbzeit sehr wenig Fußball gespielt wurde“, ärgerte sich Bondscoach Marco van Basten. „Und es ist schade, dass der Schiedsrichter so ein wichtiges Spiel auf so eine Methode pfeift.“ Seine Mannschaft, die nach einem Tor von Maniche (23. Minute) zurücklag, habe dadurch kaum die Chance gehabt, mit spielerischen Mitteln zum Erfolg zu kommen, beschwerte sich der Holländer. Auch hätten die Portugiesen „Tricks“ angewandt und auf Zeit gespielt. Das mag sein, aber seine Elf war auch nicht in der Lage, gegen technisch überlegene Portugiesen aufzutrumpfen, zumal die Oranjes mit großem Einsatz an den so genannten Rudelbildungen teilnahmen, den Gegner pufften und knufften. Sie spielten nicht den legendären „Voetbal totaal“, sondern wenn man so will: Voetbal totaal daneben – im Stil einer südamerikanischen Holzhackertruppe.
Es dauerte nicht lang, da waren auch die Holländer nur noch zu zehnt. Boulahrouz musste nach einem Ellbogenschlag gegen Figo (63.) vom Feld. Dem Opfer wurde von den Holländern Schauspielerei unterstellt. Auch van Basten vertrat diese Sichtweise. Auf Deutsch sagte er: „In der Halbzeit haben wir noch gesagt: Pass mal auf, es wird passieren, dass auch eine rote Karte an uns geschickt wird.“ Figo sei klar getroffen worden, stellte indes Scolari klar. Er sei nicht Jesus Christus, der auch noch die andere Wange hinhalte. Sein Team habe sich insgesamt korrekter verhalten als die Holländer.
Luiz Felipe Scolari wollte sich dann nicht mehr mit den Scharmützeln befassen, sondern endlich eine Ode an Portugal verfassen. Also sprach der Brasilianer von seiner Liebe zu Land und Leuten, von der Herzensangelegenheit Fußball, von Heroismus und Leidenschaft – und von einem Team, das beseelt sei, „angetrieben von einem unbändigen Willen“. Deswegen wolle er, Scolari, „Trainer der alten Schule“, dem Land „etwas zurückgeben“. Den Erfolg. Mit einem Sieg im Viertelfinale könnte Portugal die Leistung aus dem WM-Jahr 1966 wiederholen. „Das wäre ein historischer Moment“, sagte Scolari nach diesem bunten Abend im Nürnberger Stadion.