: Eine ruhmreiche Menagerie
KUNST Bald wieder feiert man mit ihren Bären bei der Berlinale – von Renée Sintenis stammt die beliebte Trophäe. Das Kolbe-Museum widmet der Bildhauerin von Tieren und Sportlern zum 125. Geburtstag eine Retrospektive
■ Die Ausstellung mit Arbeiten von Renée Sintenis (1888–1965), eine umfassende Werkschau der Berliner Bildhauerin zum 125. Geburtstag, ist im Georg-Kolbe-Museum noch bis 23. März zu sehen. Sensburger Allee 25, Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr.
■ Zur Ausstellung erscheint ein umfassender Katalog, der das bildhauerische Schaffen von Renée Sintenis vorstellt. Am Sonntag, 12. Januar, hält Ursel Berger, ehemalige Leiterin des Kolbe-Museums, um 11 Uhr den Vortrag „Eine sehr große Frau modelliert sehr kleine Tiere“.
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Gazellen, die Nase in den Wind erhoben, Rehe, die sich niederknien, ein Rind, zum Schlafen zusammengerollt: Sie haben alle zusammengefunden auf einer beinahe paradiesisch anmutenden Weide, die das Georg-Kolbe-Museum mit den kleinen Tierskulpturen von Renée Sintenis bestückt hat. Teils sind es mehrere Abgüsse des gleichen Entwurfs, meist aber unterschiedliche Varianten der grazilen Tiere, die zu den bevorzugten Modellen der Bildhauerin gehörten. In weiteren Vitrinen kommen Esel und Ziegenböcke zusammen und eine Herde von übermütigen Fohlen, sich aufbäumend, ausschlagend, bockig und springend.
Die einzelne Skulptur, oft nur wenige Zentimeter hoch, aus Bronze und mit dem Schimmer grüner oder rötlicher Patina, umgibt eine Aura des Kostbaren. Durch die Präsentation in der Gruppe aber rückt das vielfältige bewegungsreiche Spiel in den Vordergrund, der Wechsel von angespannten und gelockerten Muskeln, den die Bildhauerin so fein modellierte. Dass die Skulpturen von drei Boxern und eines Läufers, der beinahe über die Erde fliegt, sie nur noch mit einer Ferse berührend, zwischen den Tiervitrinen aufgesockelt sind, scheint da nur eine konsequente Fortsetzung des Studiums des Lebendigen und der Begeisterung für das Bewegte.
Künstlerin mit Erfolg
In der Weimarer Republik war Renée Sintenis nicht nur eine bekannte Künstlerin, sondern auch eine mit ökonomischem Erfolg. Der Dichter Joachim Ringelnatz, mit dem sie befreundet war, schrieb über sie und ihren Kunsthändler Alfred Flechtheim ein Gedicht, das die Zeitschrift Querschnitt druckte: „Herr Flechtheim angelte am See/ Sich kleine Tierchen von Renée./ Nachdem er dann aus Spiritusdocht/ Daheim den Tierchen Zügel flocht/ Zog diese Zwergenmenagerie/ Ihn selbst und seine Galerie/ Durch alle Welt zu hohem Ruhm/ Hoch Flechtheim! Hoch sein Eigentum!“
Dabei war Sintenis’ Einstieg in die Kunst nicht einfach gewesen. Ihr Vater, ein Jurist, bedrängte seine Tochter, das 1907 aufgenommene Studium für „Dekorative Plastik“ an der Kunstgewerbeschule in Berlin nach wenigen Semestern aufzugeben und stattdessen Sekretärin in seinem Büro zu werden. Die junge, gerade mal zwanzigjährige Frau brach daraufhin mit ihrer Familie. Sie soll, so berichtet eine Chronik in der Ausstellung, deshalb in eine langwierige Depression verfallen sein.
Etwas sehr in sich Versunkenes und etwas Geheimnisvolles umgibt die Selbstporträts der Künstlerin, von denen sieben, entstanden zwischen 1916 und 1944, im Kolbe-Museum in einer Reihe aufgebaut sind. Sie sind als Masken geformt, teils bewusst als Fragment gestaltet und haben ebenso viel vom Sichzeigen wie vom Sichverbergen.
Die serielle Reihung verstärkt den Aspekt einer mitunter auch schmerzhaften Selbstbefragung der In-sich-Gekehrten. Nie lächelt die Künstlerin in ihren Selbstbildnissen. Eine stille Melancholie liegt in ihren Zügen.
Dass Renée Sintenis nicht nur als Künstlerin in ihren Werken, sondern auch als eine Person des öffentlichen Lebens wahrgenommen wurde, bezeugen die vielen Fotografien, die es von ihr aus den 20er Jahren gibt. Als Plakatmotiv hat das Kolbe-Museum eine Aufnahme von Frieda Riess von 1925 gewählt, die Sintenis als äußerst androgyne und aparte Frau zeigt, mit geneigtem Kopf und gesenktem Blick, wie in ihren Büsten. Die sehr große und schlanke Künstlerin, die neben Fotografen auch Bildhauern und Malern Modell saß, verkörperte ein Sehnsuchtsbild von der unabhängigen, eleganten, selbstbewussten Frau. Man wusste, dass sie einen Sportwagen fuhr, morgens auf ihrem eigenem Pferd im Berliner Tiergarten ausritt, Cafés am Kurfürstendamm besuchte.
Nichts Monumentales
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die akademische Bildhauerei noch immer mit der Monumentalplastik des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Sich für die Kleinplastik und das Thema der Tiere zu entscheiden bedeutete auch eine Abkehr von dieser Tradition, die Skulptur mit Repräsentation gleichsetzte. Sintenis’ Arbeiten haben immer etwas sehr Intimes, für die individuelle Begegnung geschaffen. Sie idealisieren die Natürlichkeit als ein Feld, das frei war von gesellschaftlichen Zuschreibungen. Ebenso wie den Sport. Damit traf Sintenis den Geist ihrer Zeit.
1931 war Renée Sintenis als erste Bildhauerin in die Akademie der Künste aufgenommen worden, aber schon 1934 wurde sie als „nicht arisches“ Mitglied wieder ausgeschlossen. Ihr Mann, der Maler und Illustrator Emil Rudolf Weiß, hatte bereits im April 1933 seinen Posten als Hochschullehrer verloren, weil er über die Nationalsozialisten geschimpft hatte. Arbeiten von Renée Sintenis wurden aus verschiedenen Museen entfernt und als „entartete Kunst“ diffamiert. Eine andere Schau vom Kunstdienst der Reichskulturkammer stellte sie hingegen als Beispiel niederschlesischen Schaffens vor. Eine äußerst zwiespältige Situation.
Zurückgezogen arbeitete sie weiter und bezog nach dem Tod ihres Mannes mit einer Freundin eine Wohnung in Berlin-Schöneberg, wo sie bis zu ihrem Tod 1965 lebte. 1956 formte sie einen Bären, der sich bald als Westberliner Wappentier ziemlich selbstständig machte. Er ist das Vorbild für den Berlinale-Bären, der ab 1960 auf den Berliner Filmfestspielen vergeben wird. Eine Fotografie in der Ausstellung zeigt, wie Willy Brandt 1963 als Berliner Bürgermeister einen Sintenis-Bären an John F. Kennedy als Geschenk überreicht. Eine lebensgroße Fassung wurde 1957 am Grenzübergang Dreilinden aufgestellt und zum Symbol der geteilten Stadt. So wurde Renée Sintenis, die doch gerade den repräsentativen und pathetischen Gesten in der Skulptur den Rücken gekehrt hatte, in der Nachkriegszeit vor allem mit dem Berliner Wappentier identifiziert.
Eine vergessene Künstlerin war Sintenis nie, aber doch eine oft unterschätzte, ein wenig dem Verdacht des Niedlichen als vermeintliche Domäne des Weiblichen ausgesetzt. Deshalb ist es gut, dass das Kolbe-Museum jetzt so viel von der Energie und Produktivität dieser Bildhauerin sehen lässt.