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Archiv-Artikel

Fehlt hier wer?

MICHAEL BALLACK Vor dem Spiel gegen Argentinien glauben manche, dass das deutsche Team ohne ihren langjährigen Kapitän besser spielt. Stimmt das?

Die anderen über Ballack

Bundestrainer Joachim Löw glaubt noch an Michael Ballack. „Er kann noch zwei Jahre auf hohem Niveau spielen“, sagte er neulich. Auch wenn er nicht mehr beim englischen Topclub FC Chelsea unter Vertrag steht, will Löw den bald 34-Jährigen ins Nationalteam holen. „Ich glaube nicht, dass er seine Karriere beenden wird“, sagte er scherzhaft nach dem Vertragsende bei den Londonern. Mit Ballack müsse man immer rechnen.

Sein Vertreter im Kapitänsamt, Philipp Lahm, fragt: „Ja warum sollten wir ihn denn nicht mehr brauchen?“ Lahm führt das Team anders als Ballack, weniger autoritär. „Wichtig ist, dass man außerhalb des Platzes sympathisch ist“, sagt Lahm. Auch nach innen will er ein Sympathieträger sein. Das war Ballack nicht immer, deswegen darf man gespannt sein, wer von beiden die Kapitänsbinde nach der Weltmeisterschaft tragen wird.

Die Spieler des Nationalteams mussten ständig Fragen zu dem großen Abwesenden beantworten. Am Ende ist ihnen das ziemlich auf die Nerven gegangen. Ja, sagten sie, Ballack sei wichtig für die Mannschaft, aber er stehe wegen seiner Verletzung nun mal nicht zur Verfügung. Alles Weitere werde man sehen. Herauszuhören war: Ballack, schön und gut, aber wir kommen derzeit sehr gut ohne ihn klar. (mv)

Michael Ballack ist der beste deutsche Feldspieler des ersten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts. Und der einzige, der konstant Weltklasse repräsentiert. 98 Länderspiele, 42 Tore: Einen zweiten Mittelfeldspieler, der Defensiv- und Offensivqualitäten, strukturelle und individuelle Klasse über eine so lange Zeit ähnlich gut verband, hat Deutschland nie gehabt. Perdu? Kurz vor der WM fiel Ballack wegen Verletzung aus. Vor dem Viertelfinale gegen Argentinien am Samstag hat sich schon teilgesellschaftlich oder gar mehrheitlich die Annahme durchgesetzt, das deutsche Team spiele ohne ihn besser als mit ihm. Stimmt das?

Man könnte behaupten, dass das Tempo des deutschen Konterfußballs mit Ballack, 33, nicht ganz so hoch wäre– und zusammen mit Frings schon gar nicht. Es könnte sein, dass Ballack spielberuhigend agieren würde und die entscheidenden Kontertore gegen England nicht gefallen wären. Andererseits hätte Schweinsteiger sein Solo, hätte Özil seinen Sprint auch in Ballacks Beisein durchziehen können.

Man kann mit mehr Recht annehmen, dass die Hierarchie in der deutschen Mannschaft mit Boss Ballack nicht so flach wäre. Dadurch könnten Spieler wie Schweinsteiger, Lahm, Özil, Müller, Friedrich und Klose weniger „Verantwortung“ spüren, gleichzeitig weniger Freiheit und daher individuell und als Team weniger gut funktionieren. Aber konnte Ballack als Kapitän wirklich so gnadenlos durchregieren, wie der Eindruck erweckt wird? Solche Projektionen verraten etwas über die Arbeitsverhältnisse derjenigen, die sie haben. Nicht über die im DFB-Team.

Man sollte auch nicht vergessen haben, dass das Team in der Vorrunde gegen Serbien 0:1 verlor, mit zehn Mann und dominanten Spiel. Das heißt: Es funktionierte immer noch als Team, aber das ist manchmal eben nicht genug. Unvergessen ist, wie Ballack bei der EM 2008 in blockierter Situation gegen Österreich hinging und das Ding unter die Latte hämmerte. Bei aller Begeisterung für die neue deutsche Doppelsechs Schweinsteiger/Khedira: Warum sollte ein gesunder Ballack mit dem weltklassigen Schweinsteiger nicht das beste defensive Mittelfeld dieser WM bilden können? Und diese Fragilität der Mannschaft reduzieren, die die Kehrseite des neuen, mutigen, schnellen Kombinationsfußballs von Joachim Löw ist. Wer vorn was riskiert, riskiert auch hinten was.

Wer zwischen schönem und erfolgreichen Fußball unterscheidet, könnte argumentieren, dass die Konkretion der Schönheit mit Ballack etwas geringer ausfällt – aber die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs steigt. Aber das verkennt, dass ein Spieler wie Ballack in der Lage ist, in jedem Stil zu funktionieren. Und es verkennt, dass ein kompaktes Team 1:0 verlieren kann, statt wackelig 4:1 gewinnen.

Im Fußball, so heißt es, sei jeder Spieler zu ersetzen. Gewinnt man dann das Spiel oder gar das Turnier, ist die These belegt. Bei einer Niederlage gegen Argentinien wird man die Annahme relativieren. Das Einzige, was wirklich sicher ist: Eine Mannschaft mit Ballack wäre eine Mannschaft mit Ballack. PETER UNFRIED