: Ein SPD-Mann rechnet ab
ABSCHIED Sascha Raabe will nicht mehr entwicklungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag sein. Er macht seine Parteiführung für die geringe Aufstockung der Entwicklungshilfe verantwortlich
SPD-ABGEORDNETE ZU RAABE
BERLIN taz | Sein Abschiedsbrief ist drei Seiten lang. Er wolle „jeden Morgen mit gutem Gewissen in den Spiegel schauen“, das sei ihm auf dem alten Posten „nicht mehr möglich“. Das zumindest schreibt Sascha Raabe.
Raabe war acht Jahre lang entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Jetzt macht er Schluss. Es ist eine ungewöhnliche Abrechnung – mit der eigenen Partei. Es geht Raabe ums Geld. Deutschland hat wie viele andere Industriestaaten versprochen, spätestens ab dem Jahr 2015 die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung anzuheben. Union und SPD bekennen sich dazu im Koalitionsvertrag. Derzeit weist Deutschland gerade mal 0,37 Prozent aus. So ist die internationale Abmachung also nur einzuhalten, wenn die finanziellen Mittel kräftig aufgestockt werden. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Und Raabe meint, daran sei die SPD-Spitze schuld.
Von vorne: Im SPD-Wahlprogramm las sich alles noch anders. Danach sollten die Entwicklungsmittel jedes Jahr um eine Milliarde Euro zusätzlich aufgestockt werden. Als dann Arbeitsgruppen an der Großen Koalition werkelten, saß Raabe in derjenigen, die sich „Außen, Verteidigung, Entwicklung und Menschenrechte“ nannte. Der promovierte Politologe setzte sich dafür ein, dass die Mittel in den kommenden vier Jahren entsprechend erhöht werden – um insgesamt 10 Milliarden Euro. Die genauere Rechnung: 2014 kommt eine Milliarde Euro hinzu, 2015 dann diese Milliarde plus eine weitere Milliarde, macht also zwei. 2016 sind es dann zwei plus eine weitere mehr, 2017 drei plus eine mehr.
Diese Forderung sei „auch bis zum Schluss in dem mit der Union ausgehandelten Papier dringeblieben“, schreibt Raabe. Allerdings landete sie mit all den milliardenschweren Wünschen der anderen Arbeitsgruppen auf der F-Liste. F steht für Finanzierungsvorbehalt. Am Ende kam dann nur eine jährliche Steigerung der Entwicklungshilfe um 200 Millionen Euro raus.
Er hätte akzeptiert, wenn sich die CDU-Vorsitzende Angela Merkel gegen mehr Geld gestemmt hätte, meint Raabe. Die finanziellen Forderungen seien aber „in Wirklichkeit nicht an Angela Merkel, sondern an der SPD gescheitert“. Das hätten SPDler berichtet, die bei der entscheidenden letzten Runde der Koalitionsverhandlungen dabei waren. Die SPD-Leute haben demnach „mehrheitlich“ erklärt, dass eine Aufstockung der Entwicklungshilfe „zulasten“ der Bildung gehe. Als ein SPDler die Erhöhung dann gar ganz streichen wollte, habe Merkel interveniert.
Raabe bekam später zu hören: „Dein Thema interessiert nur eine kleine Minderheit in Deutschland.“ Er hält das für Unsinn, sagt aber, dass er nicht gewinnen könne, „wenn Bildung in Deutschland von wichtigen Mitgliedern unserer Parteispitze gegen den Hunger in der Welt ausgespielt wird“. Sein Schritt, so hofft er, möge zum „Umdenken“ bei den SPD-Spitzen beitragen.
Christine Lambrecht, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte zu Raabes Rückzug: „Seine Begründung kann ich nur zur Kenntnis nehmen.“ Sie verteidigte die schwarz-rote Linie: Ja, die Große Koalition bleibe hinter dem SPD-Wahlprogramm zurück. Aber es läge in der „Natur der Sache“, dass bei begrenzten Haushaltsmitteln verschiedene Ressorts konkurrierten. Und immerhin werde im Vergleich zur schwarz-gelben Vorgängerregierung die Entwicklungshilfe gesteigert. Lambrecht bedauerte Raabes Entscheidung.
In der kommenden Woche wird die SPD-Fraktion den Sprecherposten neu vergeben. Raabes bisherige Stellvertreterin Bärbel Kofler sagte der taz, sie überlege zu kandidieren. Raabe versprach unterdessen, als „einfacher Abgeordneter weiter zu nerven“. HANNA GERSMANN