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Archiv-Artikel

NRW misstraut Deutschen

Der NRW-Verfassungsschutz soll künftig auch vermeintliche Extremisten im Inland ausspähen dürfen. Die verfassungswidrige Komplettüberwachung von Wohnungen mit Wanzen bleibt unverändert

VON SEBASTIAN HEISER

Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen soll nach dem Willen der Landesregierung künftig mehr Befugnisse erhalten. Die Behörde soll auf Daten von Banken, Telefongesellschaften und Fluggesellschaften zurückgreifen können um Deutsche auszuspähen, die sie des politischen Extremismus verdächtigt. Das ergibt sich aus einem Gesetzesentwurf, den die Landesregierung aus CDU und FDP am Dienstag beschloss und der nun vom Landtag verabschiedet werden muss.

Bislang können die Verfassungsschützer solche Auskünfte nur einholen, wenn Gefahr aus dem Ausland droht. Der Vorschlag, diese Kompetenzen zu erweitern, stammt aus dem Innenministerium von Ingo Wolf (FDP). Nach den Terroranschlägen vom September 2001 in New York und Washington hatten alle Bundesländer ihre Verfassungsschutzgesetze überarbeitet und dabei Bürgerrechte beschnitten. In NRW wurden die Änderungen bis zum Jahr 2007 befristet.

Das NRW-Innenministerium hatte im Mai die neuen Kompetenzen des Verfassungsschutzes überprüft. In dem Bericht an den Landtag heißt es, durch die erweiterten Rechte für die Beamten solle „dem neuen Phänomen des home-grown“, also selbst gemachten, „Terrorismus mit wirksamen Aufklärungsmitteln“ begegnet werden: Die Attentäter in London und Madrid kamen nicht aus dem Ausland.

Für Streit sorgt jetzt die Ermächtigung des Verfassungsschutzes, privaten Wohnraum abzuhören. Diese soll nicht verändert werden, obwohl das Bundesverfassungsgericht in einer vergleichbaren Regelung der Strafprozessordnung einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte gesehen hatte. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung sei absolut geschützt, urteilten die Richter. Hier dürfe es unter keinen Umständen einen Eingriff durch den Staat geben. Die Landesregierung will die anstehende Änderung jedoch nicht nutzen, um das Verfassungsschutzgesetz an die Vorgaben aus Karlsruhe anzupassen. Es stehe noch nicht fest, wie „eine rechtlich und technisch praktikable Regelung formuliert werden könnte“, heißt es aus dem Innenministerium. Auch die Bundesregierung hat ihr Verfassungsschutzgesetz noch nicht angepasst. Dies ist für Anfang 2007 geplant. Offensichtlich hat sich die Landesregierung entschlossen, auf die Vorgabe aus Berlin zu warten.

Dies stößt auf massive Kritik aus der Opposition: „Wir verlangen, dass die Landesregierung dies jetzt mit regelt“, sagt Karsten Rudolph, Sprecher der SPD im Innenausschuss des Landtages. Das „substantielle Urteil mit einer so umfassenden Begründung“ dürfe nicht ignoriert werden. Rudolph: „Ich glaube, dass die Landesregierung versucht, die Umsetzung des Urteils auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben.“

Die Sprecherin des Innenministeriums, Dagmar Pelzer, beschwichtigt: „Bisher hat der Verfassungsschutz die Befugnisse zur Wohnraumüberwachung noch nie genutzt.“ Wenn sie im Notfall bis zu einer Neuregelung genutzt werden müssten, werde das auch jetzt schon entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes geschehen.