: Lehrstellen bleiben Glückssache
Das Gejammer über zu wenige Kinder oder schlechte Schüler ist groß. Dabei findet gerade mal ein Drittel aller Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, überhaupt eine betriebliche Lehrstelle
von RICHARD ROTHER
Kurz vor Ende des Schuljahres schlagen die Gewerkschaften Alarm wegen der schlechten Situation auf dem Berliner und Brandenburger Ausbildungsstellenmarkt. „Die Lage ist dramatisch“, so DGB-Sprecher Dieter Pienkny. Von rund 60.000 Jugendlichen, die eine Lehrstelle suchen, habe nur etwa ein Drittel Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Der Ausbildungspakt zwischen Politik und Wirtschaft laufe angesichts dieser Zahlen ins Leere. Heute veröffentlicht die Landesarbeitsagentur die aktuellen Zahlen zum Lehrstellenmarkt.
Die Diskussion über schlechte Schulabschlüsse vieler Jugendlicher bezeichnete Pienkny als „Ablenkungsmanöver“. Sicher gebe es Jugendliche mit Bildungsdefiziten, Fakt sei aber, dass es zu wenige betriebliche Ausbildungsplätze gebe. Der DGB-Sprecher verweist zudem auf die „hohe Dunkelziffer“ von 2.000 bis 3.000 Jugendlichen, die sich aus den offiziellen Ausbildungsstatistiken verabschiedet hätten und sich so durchs Leben schlagen. Diese würden aber wieder auf den Lehrstellenmarkt drängen, „denn mit Obstkistenschleppen schafft es keiner mehr bis zur Rente“.
Der DGB warnt zudem die Bundesregierung davor, den Jugendarbeitsschutz zu verschlechtern und die Arbeitszeitregelungen zu lockern. Eine Initiative dazu gehe von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus, die Forderungen des Hotel- und Gaststättenverbandes aufgreife, so der DGB. Die Berliner DGB-Vizechefin Doro Zinke bezeichnet die Pläne als „erstaunlich“. Das Gastgewerbe bilde „ganz bewusst über Bedarf aus, da es wegen der zumeist extrem harten Arbeitsbedingungen eine Abbrecherquote von rund 40 Prozent gibt“. Vier Fünftel derjenigen, die bis zum Schluss durchhielten, wechselten nach der Ausbildung die Branche.
Nicht einmal der Geburtenknick nach der Wende 1990 wird für eine rasche Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt sorgen. In diesem Jahr verlassen rund 35.000 Berliner Jugendliche die Schulen. 2007 werden 33.500 Schulabgänger erwartet, im Jahr 2008 noch rund 31.500. Die Zahl der Bewerber für Lehrstellen wird jedoch weniger stark sinken. Denn viele Jugendliche, die in diesem Jahr keinen oder nicht den gewünschten Ausbildungsplatz finden, werden es später erneut probieren.
„Dieses Phänomen wird es immer geben, weil viele Jugendliche zunächst versuchen, ihre Prioritäten durchzusetzen“, erklärt Olaf Möller, Sprecher der Landesarbeitsagentur. Dies sei auch verständlich, etwa wenn ein Jugendlicher mit guten Noten eine Ausbildung zum Bankkaufmann machen wolle und zunächst leer ausgehe. „Solche Jugendlichen nutzen in der Regel diese Zeit gut und verbessern – etwa mit Praktika im Ausland – ihre Chancen.“