: Elf Rentner sollt ihr sein
Das letzte Hurra der Altherrentruppe: Zinedine Zidane wird nach dem 3:1 im WM-Achtelfinale gegen Spanien gefeiert, doch der wahre Held des französischen Erfolgs heißt Patrick Vieira
AUS HANNOVER ANDREAS RÜTTENAUER
Nun ist sie doch noch geschrieben worden, die große Heldengeschichte um Zinedine Zidane. In der 92. Minute des Achtelfinalspiels gegen Spanien lief Frankreichs Nummer 10 mit einem Mal so schnell wie noch nie in diesem Turnier. Er wurde angespielt und schloss den letzten Konter der Franzosen zum 3:1 ab. „Zizou!“, sangen seine Anhänger, in deren Kurve der Meister sich feiern ließ. Die Denkerfurchen im oft so traurigen wirkenden Gesicht Zidanes verwandelten sich in tausende von Lachfalten. „Ich bin noch nicht reif für die Rente“, sagte der 34-Jährige eine Stunde nach seinem ersten großen Auftritt bei dieser WM. Es war eine Kampfansage. Frankreich spielt am Samstag gegen Brasilien um den Einzug ins Halbfinale. Mit Zidanes Treffer ist wieder ein wenig Zauber eingekehrt in die nach der Vorrunde schon als biedere Rentnergang verschriene Mannschaft.
So wurde nach dem Spiel natürlich wieder über das Alter gesprochen. Trainer Raymond Domenech konnte es nicht lassen, über das Thema zu philosophieren. Für Domenech war der Erfolg über die bis dahin so überzeugenden Spanier ein Sieg der Intelligenz. Es habe vor allem an den älteren Herren gelegen, dass die Mannschaft in aller Ruhe und mit großer Geduld ihr Spiel aufgezogen habe. „Die Jungen werden im Allgemeinen schneller ungeduldig“, stellte er fest, setzte sich die Brille zurecht und tat etwas, was er wohl lange nicht mehr gemacht hat. Er lächelte zufrieden.
Domenech sieht seine Mannschaft auf dem richtigen Weg. Sie befinde sich in der Entwicklung, meinte er. Wie immer wollte er keinem seiner Spieler ein Sonderlob zukommen lassen, dem dribbelnden Irrwisch Frack Ribery ebenso wenig wie dem gefeierten Zidane. Das Spiel stehe symbolisch für die Weiterentwicklung der gesamten Mannschaft während des Turniers. In der Tat begannen die Franzosen sehr zurückhaltend, postierten ihre Viererkette, die mit den davor spielenden Claude Makelele und Patrick Vieira einen harmonierenden Defensivblock bildete. Nach dem Rückstand durch den von David Villa verwandelten Foulelfmeter (28.) änderte sich nicht wirklich viel am französischen System. Nur langsam, beinahe zentimeterweise, verschoben die Franzosen ihren Block nach vorne. Der Ausgleich durch Ribery (41.), der von Vieira auf den Weg in Richtung Tor geschickt worden war, beendete die optische Dominanz der Spanier endgültig. Am Ende sah es so aus, als wäre der 3:1-Erfolg Frankreichs das logische Ergebnis einer perfekten Strategie.
Nun wähnen sich die Franzosen wieder im Kreis der großen Favoriten dieser WM. „Jetzt wollen wir den ganzen Weg gehen“, sagte Vieira, der eigentliche Held des Spiels. Er, der noch zu Beginn des Turniers ausgelaugt und müde wirkte, war der große Dominator. Er war es, der die meisten Bälle abfing, die hoch vor den französischen Strafraum geflogen kamen. Er war es, der sich dem bemühten, aber glücklosen Raul immer wieder in den Weg stellte. Er war es auch, der die meisten Angriffe der Franzosen einleitete. Und mehr noch. Mit großen Schritten spurtete er immer wieder in den gegnerischen Strafraum. Vieira bearbeitete das ganze Feld. Bei Ecken und Freistößen ist er ohnedies immer ganz vorne zu finden. Der Kopfball zum 2:1 (83.) – nach einem Freistoß von Zidane – war sein zweiter Treffer im Turnier. Und der statistische Beleg für den immensen Wert der Leistung des 30-Jährigen am Dienstagabend.
Die hat er auch seiner Fitness zu verdanken. Über die physische Verfassung der Mannschaft haben nicht wenige gestaunt in Hannover. Raymond Domenech wurde nach seinem Geheimrezept für die Frische der alten Männer gefragt. „Wir machen doch jetzt kein Fitnesstraining mehr“, sagte er, „wir machen nur Regenerationsübungen.“ Es sei ohnehin schwer, das Training mit so vielen älteren Spielern zu managen. Es scheint zu funktionieren. Bester Beleg für Domenech war das 3:1 durch Zidane. Wer in diesem Alter in der allerletzten Minute bei einem Konter noch so wach sei, der könne so viel im Training nicht falsch gemacht haben. „Das war wirklich unglaublich“, sagte Domenech, der kurzzeitig doch noch zum Heldenverehrer wurde. Der Held selbst freut sich jetzt auf das Spiel gegen Brasilien. „Man wird sehen“, sagte er. Ein beinahe kaiserliches Statement.