: Ratzfatz pleite
UNTERNEHMEN „Wir haben es geschafft“, hatte Jochen Krüger vor gut einem Monat der taz gesagt. Nach der Flaute 2009 sind seine Auftragsbücher wieder voll, Zusatzschichten laufen. Doch nun hat er Insolvenz beantragt
VON KRISTINA PEZZEI UND BEATE WILLMS
Plötzlich waren die Konten leer. Die Verhandlungen mit den Banken hatten sich hingezogen, Kunden mit der Bezahlung gezögert. Auf einmal konnte der Brandenburger Unternehmer Jochen Krüger die monatlichen Kreditzahlungen nicht mehr leisten. Krüger ist zahlungsunfähig. „Das ging ratzfatz, ich war selber ganz überrascht.“
220 Beschäftigte hat der Inhaber des Autozulieferers alu-druckguss, der Motoren- und Getriebeteile etwa für Audi und VW fertigt und zuletzt einen Umsatz von 26 Millionen Euro hatte. Vor sieben Wochen hatte er im taz-Interview erklärt, die Krise mit Schrammen überstanden zu haben. Nun ist die Firma mit Sitz in Brieselang bei Berlin pleite: „Ich bin ein spätes Opfer der Krise“, sagt Krüger jetzt. Über die genauen Gründe äußert er sich nur vage: „Das Geld kam nicht so zeitnah wie gedacht.“
Die Zurückhaltung kommt nicht von ungefähr. Krüger will die Partner nicht verprellen, die er braucht. Alu-druckguss soll nicht abgewickelt werden. Krüger hofft, die Firma über eine sogenannte Planinsolvenz entschulden zu können. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter hat das Amtsgericht Potsdam Christian Graf Brockdorff ernannt, der schon eine Wohnungsbaugesellschaft, ein Holzheizkraftwerk und eine Fotokette verwaltet hat.
Die alu-druckguss soll das Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung durchlaufen. Das bedeutet, dass Krüger sie auf Vordermann bringen darf – wenn die Gläubiger den Plan akzeptieren, den er nun erstellen muss. Dass der Insolvenzverwalter dem zustimmte, hat Krüger geschickt vorbereitet: Einen Tag vor der Insolvenz holte er sich Unterstützung in die Geschäftsführung: Andrew Seidl ist Anwalt für Insolvenzrecht und hat schon einige Planinsolvenzen hinter sich. „Wir sanieren bewusst aus der Insolvenz heraus“, sagt er. Ziel sei es, die Firma gestärkt aus der Krise zu führen. Der Anwalt ist überzeugt, dass die Welle der Insolvenzen erst anrollt. Krüger sei nicht nur ein spätes, sondern schon wieder ein frühes Krisenopfer.
Tatsächlich haben in Brandenburg im ersten Quartal 2010 8,6 Prozent mehr Firmen Insolvenz angemeldet als im ersten Quartal 2009. Es treffe nun die Kleinen, sagt Helmut Rödl von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Kaum verwunderlich, wenn Zulieferern die Hauptauftraggeber wegbrechen. Nach Angaben des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall haben die Firmen der Metall- und Elektrobranche 2009 eine so schlechte Umsatzrendite gemacht wie nur noch einmal 2003. Jede dritte war im Minus. Der Verband der Automobilindustrie meldet, dass 91 Prozent der Zulieferer eine Lücke beim Eigenkapital haben.
Da hilft es wenig, wenn sich die Auftragsbücher füllen. Krüger plante 2009 mit 42 Millionen Euro Umsatz und kaufte entsprechend Maschinen ein. 26 Millionen Euro wurden es – ein Minus von 40 Prozent. Die Kosten mussten abgestottert werden. Als seine Hauptauftraggeber nun verstärkt orderten, klingelten gleichzeitig die Gläubigerbanken. „Wir haben im Mai schwarze Zahlen geschrieben“, sagt Krüger. Doch in der Kasse war Ebbe. Auch eine Landesbürgschaft über knapp 2 Millionen Euro half nicht mehr.
„Paradox ist, dass viele Unternehmen im Aufschwung pleitegehen“, sagt Seidl. Monate- oder jahrelang helfen die Banken mit Krediten. Und dann ziehen sie womöglich die Schrauben an, wenn die Firmen investieren wollen und Geld brauchen. Das trifft Krügers Branche: Daimler, BMW, Audi & Co fahren Sonderschichten, stellen wieder Leiharbeiter ein. Sie brauchen mehr Teile. Dafür müssen die Zulieferer Kapazitäten ausbauen. In Brieselang arbeiten sie wieder samstags. Um noch mehr zu produzieren, brauchte man mehr Maschinen und neue Kredite, die schwer zu bekommen sind. Dadurch ist laut Informationsdienst D&B jeder fünfte Automobilzulieferer gefährdet. Mit der Planinsolvenz, die es seit 1999 gibt, sieht Seidl für die alu-druckguss eine Perspektive: Der Markt sei da, der Name eine Marke.
Der Optimismus scheint sich auf die Beschäftigten zu übertragen, die Stimmung ist locker. In einem Raum informiert der Betriebsrat, gibt Tipps für Hausbesitzer, die Kredite abzahlen und deren Banken unruhig werden. Die Fragen sind sachlich. „Was ist, wenn meine Waschmaschine kaputtgeht und mir die Bank kein Geld leiht?“, fragt eine Arbeiterin. Nach der Besprechung geht es zurück an die Arbeit, Lachen ist zu hören. Krüger selbst wirkt nahezu erleichtert. Er ist froh, Insolvenz angemeldet zu haben, als noch Geld da war. „Viele Unternehmer blenden die Realität aus“, bestätigt Seidl. „Da stehen dann Waschkörbe voll ungeöffneter Geschäftspost.“ Irgendwann ist es für eine Planinsolvenz zu spät.
Das ist wohl ein Grund, warum solche Insolvenzen kaum 2 Prozent ausmachen, obwohl Experten wie Hans Haarmeyer, früherer Insolvenzrichter und Professor in Remagen, davon ausgehen, dass bis zu 30 Prozent der insolventen Firmen saniert werden könnten. Ein anderer ist, dass nach Informationen des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) 9 von 10 Insolvenzverwaltern die Erfahrung mit Planverfahren fehle.
Ein guter Insolvenzverwalter kann mit einem Planverfahren einiges herausholen: weniger Jobs gehen verloren, die Gläubiger können auf mehr Geld hoffen. Laut IfM ist jedes zweite der knapp 2.500 Unternehmen, die seit 1999 in Planinsolvenz waren, heute noch aktiv. 60 Prozent der Jobs blieben erhalten. Und während die Gläubiger in knapp zwei Dritteln sämtlicher Fälle leer ausgehen, liegt die Ausschüttungsquote bei Planverfahren bei bis zu 60 Prozent.
98 Prozent laufen jedoch nach dem Regelverfahren ab, in dem der Insolvenzverwalter das Vermögen beschlagnahmt, heißt es im „Mittelstandsmonitor“ von IfM, Creditreform und der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Danach legt er den Betrieb entweder bei der Verfahrenseröffnung still, kündigt den Beschäftigten und verkauft die Einzelteile. Oder er gibt den Laden ganz oder teilweise an Interessenten weiter, die ihn dann abgespeckt sanieren. Hier bleibt im Schnitt nur jeder dritte Job erhalten.
Das soll der alu-druckguss nicht passieren. Hier arbeiten Krüger und Seidl mit Hochdruck am Plan für die Gläubiger. Sie durchforsten die Bücher nach unerquicklichen Verträgen und kappen sie. Für bis zu drei Monate arbeitet der Zulieferer unter einer Art Käseglocke: Er muss Kredite nicht bedienen, nichts kann gepfändet werden, die Geschäftsführung kann über die Einnahmen verfügen. „Das Vermögen wird privatisiert, die Verpflichtungen werden sozialisiert“, sagt Seidl. Den Beschäftigten zahlt die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld, ohne Einbußen. Der Betrieb spart 30 Prozent. „Ich rechne damit, dass wir in drei Monaten raus sind aus der Insolvenz“, sagt Krüger. Er könnte der Einzige sein, der leiden muss. Einige der Bürgschaften musste er als Privatmann unterschreiben. „Ich hafte mit einem Vermögen, das ich nicht habe.“ Womöglich wird er Privatinsolvenz anmelden müssen.
Vielleicht hat er aber Glück. Das Brandenburger Wirtschaftsministerium äußert sich positiv: „Es sieht ja so aus, als sei eine Perspektive da, wir warten also erst einmal ab“, sagt Sprecherin Claudia Lippert. Die Förderbank des Landes erklärt zwar, sie prüfe Rückforderungen von einer Million Euro – doch auch hier komme es darauf an, ob Arbeitsplätze dauerhaft erhalten bleiben. Da kann die Geschäftsführung von alu-druckguss fast wieder lächeln: Krüger und sein Partner Seidl überlegen, angesichts der vollen Auftragsbücher Mitarbeiter einzustellen.