Studis demonstrieren à la française

Ein friedlicher, bunter und breiter Protestzug gegen die drohenden Studiengebühren und das neue Schulgesetz in Hessen sollte es werden. Doch es blieb nicht dabei: Paletten und Böller flogen. Die jüngste Demo in Wiesbaden endet mit 21 Festnahmen

aus WIESBADENSASCHA TEGTMEIER

Erst fliegt eine Holzpalette auf die Straße. Dann ein ganzer Bauzaun. Jemand wirft einen Böller dazu und rennt, so schnell er kann, im Slalom durch den Demonstrationszug. Polizeibeamten in Kampfmontur verfolgen ihn. Zwei Hubschrauber kreisen über der Menge – über 1.000 Studierenden, die gerade eine weitere Kreuzung in der Wiesbadener Innenstadt blockiert haben, um gegen die Einführung von Studiengebühren zu demonstrieren. „Wir sind hier, und wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut“, skandieren sie an diesem Mittwochnachmittag. Ein junger Mann hat sich ein buntes Tuch über das Gesicht gezogen. Die Polizei wird später mitteilen: Die Studenten hätten Sperrmüll in Brand gesetzt und versucht, einen Bauwagen anzuzünden.

Die Studierenden, die aus ganz Hessen und anderen Bundesländern angereist sind, erproben ein weiteres Mal ihre neue Form des Protestes: Blockieren von Straßen, Autobahnen und Bahngleisen. Je greifbarer die Semestermaut wird, desto spektakulärer kämpfen sie.

Dabei hatte die so genannte Süddemo überaus friedlich begonnen. Von Trommeln, Dudelsackmusik und dem obligatorischen Pfeifen begleitet liefen 8.000 Demonstranten vom Hauptbahnhof aus durch die Wiesbadener Innenstadt. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Linkspartei und die Grünen hatten dafür mobilisiert. StudierendenvertreterInnen ermahnten ihre Kommilitonen, sie sollten bitte anders auftreten als bei vergangenen Demos. „Wer Action machen will, sollte nach Hamburg fahren“, sagte Amin Benaissa vom bundesweiten Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS). Denn im Unterschied zur „Norddemo“ waren in Wiesbaden auch Lehrer und Schüler auf die Straße gerufen – um neben Studiengebühren auch gegen ein neues Schulgesetz zu protestieren.

So marschierte Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD-Landtagsabgeordnete und Entwicklungsministerin, neben Studienräten, AbiturientInnen. Aber auch jene Schwarzgekleideten, die sich ihr Transparent bis unter die Augen zogen, waren dabei. Und während die Gewerkschaft mit sachlichen Sprüchen auf den Transparenten die hessische Bildungsmisere anprangerte, wählten Studis andere Worte. Zum Beispiel: „Fickt eure Gebühren!“

Die erste Rednerin hatte bei der Kundgebung kaum begonnen, die Politik des CDU-Ministerpräsident Roland Koch zu geißeln, da haben die Studis schon genug vom braven Protest. „Autobaaahn, Autobaaahn“, grölt ein junger Mann durchs Megafon. Eine Gruppe von Demonstranten rennt auf die noble Rheinstraße, tänzelt auf der Fahrbahn, stoppt den Verkehr.

„Nur so können wir auf uns aufmerksam machen“, sagt ein Lehramtsstudent atemlos. Er schwenkt eine französische Fahne, stellt sich vor Autos. Die Proteste in Frankreich sind für viele Studis ein Vorbild; dort hatten Studenten und Schüler es geschafft, mit zum Teil gewalttätigen Protesten eine bereits beschlossene Beschneidung der Arbeitnehmerrechte zu kippen.

„Zu wirklichen Ausschreitungen wollen wir es hier nicht kommen lassen“, sagt der Lehramtsstudent, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Einigen Studis scheint jedoch nicht ganz wohl in dem Chaos zu sein. „Ich hoffe, meine Eltern holen mich schnell wieder raus, wenn die mich einsperren“, sagt eine 20-jährige Studentin aus Darmstadt zu ihrer Freundin. Später geraten sie in einen „Polizeikessel“.

21 Demonstranten nahmen die Beamten vorübergehend fest. Einer von ihnen ist Matthias Schweizer, Studierendenvertreter aus Freiburg. Als er am Abend wieder freikommt, erzählt der Lehramtsstudent, man habe ihn beim Pizza-Essen abgeführt. Ihm wird vorgeworfen, zuvor an einem Bauwagen gezündelt zu haben. „Die Polizei will uns einschüchtern“, sagt Benaissa vom ABS. Die Landesregierung versuche damit, die Proteste kaputt zu machen. Doch das soll nicht gelingen. Am 6. Juli ruft der ABS zu einer bundesweiten Demo auf. Diesmal in Frankfurt am Main.