: Das Plastische klingt
MUSIK Vier Tage lang erforscht das Festival „Klub Katarakt“ neue Dimensionen der Wahrnehmung. Besonders gewürdigt wird der New Yorker Minimalist Phill Niblock
VON ROBERT MATTHIES
Großes Interesse an musikalischer Tradition hatte er nie. Das unterscheidet Phill Niblock von den anderen Schlüsselfiguren der New Yorker Minimalismus-Szene, seinen Mentoren Terry Riley, Steve Reich und Philip Glass. Grundlegend für seine Arbeit ist seit rund 40 Jahren vielmehr ein minimalistisches Verständnis intermedialer Kunst. Erste kreative Gehversuche unternahm er mit der Videokamera, Mitte der 1960er-Jahre, dann gründete er mit der Filmemacherin Elaine Summers die „Experimental Media Foundation“ – zur Förderung „intermedialer Produktionen“.
Nahe steht der Kompositions-Autodidakt Niblock dem sich um die Dauer anordnenden Minimalismus von La Monte Young: Die meisten seiner Stücke bestehen aus Drones, brummenden, gehaltenen Noten, die sich kaum merklich verändern und dabei umso sprühendere Harmonien erzeugen. Mit ausschließlich analogen Klangquellen – Gitarren, Drehorgeln, nasale Stimmen – sucht er nach überraschenden akustischen Phänomenen.
Niblocks Musik, überhaupt nicht schwer zugänglich, verändert sich mit dem Raum, in dem sie gespielt wird. Der Komponist besteht darauf, dass sie extrem laut gespielt wird: auf dass sie ihre harmonischen Möglichkeiten maximiert, den Raum ausfüllt, den Zuhörer umschließt. Seine Hörer will Niblock dazu bringen, „herumzuwandern“ und die Plastizität des Klingenden selbst zu erfahren. Statt eine passive Rolle einzunehmen, soll er sich seinen Weg durch die extreme akustische Umgebung bahnen.
Neue Möglichkeiten im Verhältnis von Klang und Raum zu erforschen, das war von Beginn an auch eines der zentralen Anliegen des Hamburger Netzwerks „Klub Katarakt“. Statt an erwartungsgemäßen, oft akademischen Spielorten hielt es seine notorisch ausschweifenden Konzerte in Clubs und Theatern ab, nicht trocken und verkopft, sondern sinnlich und multimedial: als „Strom von Klängen, Texten und Bildern“, als wirbelnde Zusammenkunft von Gattungen und Stilistiken.
Seit 2005 organisiert das Netzwerk von Komponisten, Interpreten und Bands, Videokünstler, Literaten und Theaterleuten Hamburgs „kleinstes, aber feinstes“ Festival für experimentelle Musik, ebenfalls Klub Katarakt geheißen. 2007 erhielten die damaligen künstlerischen Leiter Jan Dvorak und Jan Feddersen das Bachpreis-Stipendium. Seit sechs Jahren ist es jeweils zum Jahresbeginn vier Tage lang auf Kampnagel zu Gast.
Internationale Komponisten und Klangkünstler wie La Monte Young, Rhys Chatham oder Alvin Lucier, die sich in ihren Arbeiten teils schon seit den 1960er-Jahren intensiv mit der räumlichen Wirkung von Klängen auseinandergesetzt haben, finden seitdem in den hohen Hallen ideale Bedingungen für ihre Kompositionen und Installationen.
Phill Niblock war schon 2006 einmal Composer in Residence bei „Klub Katarakt“. Diesmal ist ihm die Eröffnung des Festivals am kommenden Mittwochabend gewidmet: Zur Feier von Niblocks 80. Geburtstag im vergangenen Oktober hat Klub Katarakt ein Werk für drei Ensembles in drei Hallen in Auftrag gegeben, eine begehbare Konzertinstallation. Angefragt sind dafür alte und neue Wegbegleiter des New Yorkers: das niederländische Trio Scordatura, der Belgier Guy de Bièvre, das norwegische Ensemble neoN und das Hamburger Komponisten- und Performerkollektiv Nelly Boyd, mit dem Niblock schon eine langjährige Freundschaft verbindet.
Fortgesetzt hat der Klub Katarakt in diesem Jahr auch seine Zusammenarbeit mit Drone-Pionier La Monte Young. Zum ersten Mal in Hamburg gespielt wird am Donnerstag sein abendfüllendes Stück für Cello und Elektronik „Just Charles & Cello in The Romantic Chord“ aus dem Jahr 2003, interpretiert vom Cellisten Charles Curtis, ehemals Cellist des NDR-Orchesters.
Die letzten beiden Abende sind dann dem Norden gewidmet: Präsentiert wird das absurde Musiktheater „Relax“ des Komponisten, Schlagzeugers und Performers Matthias Kaul, in einem Nachtkonzert spielt das Ensemble neoN neue Werke norwegischer Komponisten. Heimlicher Höhepunkt ist dann die „Lange Nacht“ am Samstag: Untermalt von Kurzfilmen präsentieren Hamburger KomponistInnen und Gäste ihre aktuellen Arbeiten.
■ Mi, 15. Januar, bis Sa, 18. Januar, Kampnagel; www.klubkatarakt.net