Die Zukunft des Denkens

RECHENLEISTUNG

Sie hätten ihn auch Gottfried nennen können. Aber wohltuend unvermenschlicht und zugleich in bester Tradition wird er bloß HLRN III heißen, der neue Supercomputer, mit dem die fünf norddeutschen Bundesländer – plus Berlin und Brandenburg – wieder den Anschluss ans Mittelfeld der Weltspitze herstellen, rein rechnerisch. Bremerhavener Polarforscher, Kieler Ozeanologen, Göttinger Quantenphysiker oder Hamburger Pharmakologen: Sie alle sind scharf darauf, den Apparat benutzen zu dürfen, den am Donnerstag das Rechenzentrum der Leibniz-Uni Hannover einweiht.

Weil die Rechenoperationen auf rund 100.000 Prozessoren parallel durchgeführt werden, ermöglicht er eine extrem dichte Simulation und Analyse komplexer Zusammenhänge: Er soll zehnmal so viele Operationen durchführen können wie sein vor vier Jahren eingeweihter Vorgänger HLRN II: Das wären 2,6 Peta-Flops, also 2,6 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde.

Das ist der reine Wahnsinn – oder der Triumph der Vernunft: Die vermuteten Grenzen von wirklicher Wirklichkeit und Supercomputer-Simulation verschwimmen längst. Die Arbeit der Maschinen prägt, was wir als Welt wahrnehmen, während sie doch nichts anderes ist als angewandte Wissenschaft, sprich Theoriebildung. Die Phänomene, die dank Rechenleistung aus der Datenflut emergieren, treten zunächst als theoretische Konstrukte ins Leben: als analysiertes Genom, als zu entdeckende Phytoplankton-Art, deren Existenz sich aus der Simulation als notwendig erweist, oder als synthetisierte Mikrobe.

Ob, und vor allem wie das unser Denken verändert, wie diese sich in die Täuschung der Theorie verflüchtigende Supercomputerwelt sich reflektieren lässt: Das entzieht sich der Berechnung. Umso dringlicher, danach zu fragen – was in Hannover der Literarische Salon eine Woche später unternimmt: am 23. Januar.  BES