Die Wandzeitung der ägyptischen Revolution

FILM Graffiti als Waffe im Kampf um die Köpfe – der Berliner Regisseur Marco Wilms hat für seine Filmdoku „Art War“ Kairoer Straßenkünstler begleitet. Am Sonntag feiert sie in der Volksbühne Premiere

VON JANNIS HAGMANN

Zum brennenden Inferno habe er sich gewandelt, der Traum der Ägypter vom Aufbruch in eine neue Zeit. So heißt es gleich zu Beginn des Dokumentarfilms „Art War“, der am Sonntag in der Volksbühne Premiere feiert. Doch was reißerisch anmutet, entwickelt sich als spannender Einblick in die Kairoer Street-Art-Szene. Fast drei Jahre lang hat der Berliner Filmemacher Marco Wilms Künstler der ägyptischen Revolution begleitet.

Vor allem der Straßenkunst widmet Wilms seine Dokumentation. Unter der jahrzehntelangen Herrschaft Husni Mubaraks fehlten Graffiti im öffentlichen Raum beinahe vollständig. Seit dessen Sturz 2011 aber lugt hinter jeder Hausecke der Kopf eines „Revolutionsmärtyrers“ hervor, ziert jede grau-braune Hauswand in der Kairoer Innenstadt ein Schriftzug oder ein kunstvolles Gemälde. „Die Mauer“, sagt einer der Künstler, „ist die Wandzeitung der Revolution. Wann immer etwas passiert, übertragen wir es auf die Wand, damit das Volk es sieht.“

Mit seiner Kamera hält Wilms fest, wie die jungen Menschen ihr Recht auf Stadt einfordern und mit Kunst den öffentlichen Raum erobern. Dass der künstlerische Kampf aber auch konkrete Wirkung haben kann, zeigt Graffitikünstler Ammar. Mit Schablonen und Spraydosen bewaffnet verbreitet er das Bild eines jungen Mannes an den Kairoer Häuserwänden. „Das Graffiti zeigt den Polizeischützen Mahmud Fathi“, erklärt Ammar. „Er hat 19 Demonstranten in die Augen geschossen.“ Jetzt sollten die Leute helfen, ihn ausfindig zu machen. Tatsächlich muss sich Fathi wenig später vor Gericht verantworten.

Doch stellen die Protagonisten, die Wilms ausgewählt hat, nicht nur die politischen Verhältnisse in Frage. Auf einem Gemälde zeigt der Künstler Ganzeer eine zum Gebet kniende Frau, darüber steht zu lesen: „Oh Gott, ich möchte gefickt werden, einen richtig guten Fick, bevor ich sterbe. Ich möchte die Zunge meines Ehemanns in meiner Muschi spüren“ – eine Provokation, die die konservativen Gesellschaftsnormen radikal herausfordert.

Ein Problem ist, dass Filmemacher Wilms den Fokus auf wenige liberale und meist englischsprachige Künstler gelegt hat, und sein Film so nur einen Teilaspekt der Revolution in den Blick nimmt. Die konservative Bevölkerungsmehrheit erscheint in seiner Darstellung allein als reaktionär. Für sie zeigt der Regisseur wenig Interesse.

Dass die jahrelange Zusammenarbeit mit Wilms für die Künstler nicht immer einfach war, erzählt Ganzeer: „Um ehrlich zu sein, war es schon ein kleiner Kampf“, sagt er in einem Interview, „man möchte etwas erreichen, und dann kommt irgendein Typ aus Deutschland und will einen Film drehen.“

So schlimm allerdings kann es dann doch nicht gewesen sein. Bei verschiedenen Filmvorführungen in Deutschland wollen neben dem Regisseur nicht nur Ganzeer und Ammar dabei sein, auch der deutsch-ägyptische Schriftsteller Hamed Abdel-Samad, einer der Protagonisten des Films, wird den Filmemacher begleiten.

■ Premiere am Sonntag, 20 Uhr, in der Volksbühne. Ab 23. Januar im Lichtblick Kino und Hackesche Höfe Kino