MITARBEITERIN DER WOCHE: MARLENE HALSER : Rauchende Piratenbraut
Von Freunden wird sie auch liebevoll „Halsi“ genannt, sie kam 1904 im schlesischen Bielitz zur Welt. Schon zur Geburt trug sie Holzbein und Augenklappe und träumte bald von einer Karriere als Piratenanwältin – ohne je das offene Meer gesehen zu haben. Bereits 1910 machte sich die Familie als Frühaussiedler auf den Weg nach Bayern. Als eine der wenigen Anhänger der Rekatholisierung fühlten sich die Halsers in Schlesien nicht mehr akzeptiert.
Also gab Halsi ihre Lehre zur Eisenbiegerin und Wollweberin auf und wurde Automatenaufstellerin. So lebte sie in Bayern, behütet, glaubend und immer mit reichlich Zigaretten (Juno, „dick und rund“) aus den Automaten. Deshalb war Halsi bei ihren Freundinnen sehr beliebt. Bald führte sie die coolste Einrad-Gang Münchens an.
Doch dann, eines Nachts, begegnete ihr im Traum ein Klabautermann und erinnerte sie an ihren Kindheitswunsch, zur See zu fahren und Piraten den gebotenen Rechtsbeistand zu bieten. Halsi drehte sich um – und dachte nie mehr an diesen Traum.
Erst spät fand Halsi ihren Weg zum Journalismus. Über Praktika bei Praline, Blitz Illu und Auto, Motor, Sport kam sie zur taz. Zunächst blieb sie in Bayern, realisierte aber schnell, dass sie dort mit ihren linkskapitalistischen Freibeuterfantasien nicht landen konnte. So kam sie nach Berlin.
Dort lebt Halsi nun auf halber Treppe im vierten Hinterhof eines sozialdemokratischen Stadionbaus. Hier tippt sie ihre schönen und anrührenden Geschichten auf einer alten Wanderer „Continental“ mit rotem Farbband. Lesen Sie sie! Jüngst hat sie eine reale Geschichte geschrieben, über Vater Halsi. Titel: „Bitte, Papa“.
JÜRN KRUSE
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