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Archiv-Artikel

Scheintot auf dem Bebelplatz

FASHION WEEK BERLIN „Es lebe der unbedingte Konsum!“ Parodie und Protest bei der Eröffnung der Berliner Modewoche

Der Feind ist allgegenwärtig. Wir alle werden ständig von ihm umgeben, gerade in Berlin wird ihm sehr viel Aufmerksamkeit zuteil: dem Modezeitgeist. Am Dienstagabend zeigte dieser große Sichtbarkeit. Eine lange Schlange modeaffiner Lifestyler harrte auf Einlass zur 7. Berliner Fashion Week, die am Abend eröffnet wurde.

Die Modewelt als Feind ausgerufen und gegen ihre Schattenseiten mobilgemacht hat wenige Schritte entfernt eine kleine Gruppe von Aktivisten unter dem Motto „Kampagne für saubere Kleidung“. Am Bebelplatz plädierten etwa 30 Demonstranten gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur durch die Textilindustrie. Was ist der Preis, den die Welt für unseren Hang zu Glanz und Glamour zahlt? Diese Frage stand im Zentrum der Jubeldemo, welche die Denkmuster der Modeindustrie ironisch kontrastierte. „Es lebe der freie Markt!“, verlas eine der Aktivistinnen. Jubel. „Hauptsache wir können es uns leisten.“ Jubelschreie. „Es lebe der Trend! Es lebe der unbedingte Konsum!“ Inbrünstige Zustimmung. Das gab es zuletzt wohl beim FDP-Parteitag.

Ziel der Kampagne sei es, auf „die hässlichen Seiten der Modeindustrie aufmerksam zu machen, sowohl im Bereich der Arbeitsbedingungen ihrer Produzenten als auch der ökologischen Folgen, die sie verantwortet“, sagte Julia Thimm, eine der Organisatorinnen, der taz.

Mode wird gerade in asiatischen Niedriglohnländern, der Globalisierung sei Dank, zunehmend unter katastrophalen Bedingungen produziert. Für Aufsehen sorgte kürzlich ein Fall aus der Türkei, wo schätzungsweise 5.000 Arbeiter der Textilindustrie an Silikose (zu deutsch: Staublunge) erkrankt sind. Der Grund: Mit einem Sandstrahl sorgten sie dafür, dass unsere neuen Hosen alt und benutzt aussehen. Schon 40 ArbeiterInnen sind an den Folgen gestorben. Auch die ökologischen Folgen sind verheerend: Bis unsere Jeans gefertigt ist, rinnen etwa 11.000 Liter Wasser für Baumwollanbau und Färbung den Textilbach herunter. Grund genug, sich gerade zur Fashion Week mit dem Thema Mode auseinanderzusetzen.

Am Ende ihrer ironischen Jubelrede auf die Modeindustrie riefen die Aktivistinnen aus: „We die for fashion.“ Die etwa dreißig Demonstranten sanken in sich zusammen und verharrten scheintot auf dem Boden des Bebelplatz. Die Besucher der Fashion Week hingegen hatten für solche Spielchen keine Muße, sie mussten weiter auf Einlass warten. TOBIAS NOLTE