: Sind Politiker Lobbyisten?
WECHSEL Von Klaeden zu Daimler, Pofalla zur Bahn – aus der ersten Reihe der Politik direkt ins Großunternehmen
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Ja
Klaus Kocks, 61, saß im VW-Vorstand und ist Kommunikationsberater
Ja klar, immer und überall. Lobbyismus ist das Wesen von Politik. Die Frage ist nur, ob die politischen Akteure das leugnen, indem sie die Interessen, die sie vertreten, hinter einem vorgetäuschten Gemeinwohl verstecken und so über ihre wahren Absichten täuschen. Das ist verwerflich. Politik ist Interessenvertretung. Wer etwas anderes annimmt, ist ein politischer Idiot, vielleicht ein liebenswerter Idealist oder glühender Ideologe, aber doch politisch ein Idiot. Ob man den Interessen der Lobby als Gesetzgeber folgen möchte oder nicht, das ist die entscheidende Frage. Aber die Welt teilt sich nicht in weiße Engel des Gemeinwohls und schwarze Teufel der Lobby. Ich würde mir eher mehr Lobbyisten wünschen, nicht nur solche für die Interessen des von allen möglichen Bürgermeistern total genervten Bahnvorstands, der dringend einen Grüßaugust braucht. Etwa für: Schwerter zu Pflugscharen!
Friedrich Ostendorff, 60, ist agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag
Wenn sie nicht aufpassen: Ja! Es gibt zwei Sorten von Lobbyisten unter uns Abgeordneten: Diejenigen, die als Lobbyisten im Parlament sitzen und diejenigen, die es nach ihrem Leben als Politiker werden. Abgeordnete mit einer Berufsbiografie in einer bestimmten Branche sind eher gefährdet, im Mandat Lobbyismus zu betreiben. Agrarausschüsse gelten diesbezüglich als besonders riskant. Aber Vorsicht: Menschen mit einem Leben vor und nach dem Mandat tun dem Parlamentarismus oft besser als reine Berufspolitiker. Fachkenntnisse müssen in der Politik nicht schädlich sein. Die Gretchenfrage lautet: Wie hältst du es mit dem Geld? Stehst du für eine Sache ein oder lässt du dich dafür bezahlen, dass du die Interessen Einzelner im Parlament vertrittst? Ein Abgeordneter mit einem Beruf ist etwas anderes als einer mit fünf Aufsichtsratsposten in seiner Branche. Die zweite Sorte von Lobbyisten sind die Berufspolitiker, die meist direkt vom Hörsaal in den Plenarsaal wollten und nach ein paar Jahren in der Politik eine lukrative „Anschlussverwendung“ suchen. Zu dieser Gruppe gehört Herr Pofalla. Er will sich nun vergolden lassen, was er den Wählerinnen und Wählern verdankt: den direkten Draht zur Kanzlerin.
Sylvie Rebmann, 27, ist taz-Leserin und studiert Politikwissenschaften in Kassel
Natürlich sind Politiker Lobbyisten. Sie alle vertreten Interessen – die ihrer Anhängerschaft, ihres Berufsstandes, ihres Ortes. Oft ist doch genau das der Antrieb, aus dem heraus sie Politik betreiben. Sie wollen etwas verändern – für die, die ihnen wichtig sind. Das ist auch völlig in Ordnung. Anders kann eine parlamentarische Demokratie nicht funktionieren. So entstehen Initiativen für Behinderte, für die Umwelt, für das Handwerk und so weiter. Letztlich hat es aber der Wähler in der Hand. Und sind nicht unsere Parlamente auch Garanten dafür, dass eine Vielfalt an Interessenvertretern dorthin entsandt wird, so dass nie zu viele Interessenvertreter aus einer gesellschaftlichen Sphäre auf einen Haufen zusammenkommen? Natürlich liegt der Fall bei Leuten wie Pofalla und von Klaeden anders, bei ihnen ist die Grenze zum Missbrauch ihrer politischen Macht, die ihm vom Wähler auf Zeit verliehen wurde, überschritten. Wobei man auch fragen könnte, ob es nicht auch sinnvoll ist, wenn Großkonzerne wie Daimler oder die Bahn exklusiven Zugang zur Politik haben. Sie bewegen Milliarden, sie sichern Zukunft, sie sind wichtig. Aber bitte: Das ist eine andere Debatte. Ich möchte nur anregen, auch darüber nachzudenken. Grundsätzlich schlecht sollte man Lobbyismus nicht finden. Er treibt die Parlamente an, er sorgt dafür, dass Interessengruppen gehört werden, er macht Mitbestimmung und Einflussnahme möglich, Einflussnahme im positiven Sinne.
Nein
Christina Deckwirth, 35, ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet bei Lobbycontrol
Im letzten Deutschen Bundestag gingen gut ein Drittel aller Abgeordneten bezahlten Nebentätigkeiten nach – darunter waren auch Lobbyjobs. Andere Politiker wie zum Beispiel der ehemalige Staatsminister Eckart von Klaeden, sicherten sich schon während ihrer Amtszeit lukrative Anschlussjobs als Lobbyisten. Der Blick auf spätere Arbeitgeber beeinträchtigt ihre Unabhängigkeit. Dass Politiker Lobbyisten sind, ist also Realität, aber so sollte es nicht sein. Es ist ein Problem, wenn Politiker dafür bezahlt werden oder gar vertraglich dazu verpflichtet sind, die Interessen bestimmter Lobbys zu vertreten. So kommt es zu Interessenkonflikten: Politiker unterstehen nicht mehr allein ihrem Gewissen und dem Auftrag ihrer Wähler. Eine Demokratie braucht Politiker, die sich am Allgemeinwohl orientieren, die im Zweifel für Verbraucherschutz statt für Gewinninteressen Einzelner entscheiden. Doch auf den Anstand können wir uns nicht verlassen. Deswegen brauchen wir klare Regeln für den Umgang der Politik mit Lobbyisten. Dazu gehören gesetzliche Sperrfristen für Seitenwechsler.
Rudolf Speth, 56, Politologe, Autor von „Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland“
Politiker sind keine Lobbyisten. Dies gehört zum Grundverständnis der Demokratie in Deutschland. Politiker werden nach bestimmten Regeln gewählt und mit Macht versehen. Ihre Aufgabe ist es, Entscheidungen zu treffen, die uns alle betreffen, für alle gelten und als legitim angesehen werden. Damit Politiker entscheiden können, benötigen sie Wissen und politische Urteilskraft. Ein profundes Wissen, das alle Bereiche politischer Entscheidungen umfasst, bringen heute die wenigsten Politiker mit. Sie sind auf die Expertise von Interessengruppen und damit auf Lobbyisten angewiesen. Insofern ist Lobbying nichts Verwerfliches, sondern hat eine für die Qualität demokratischer Entscheidungen unersetzliche Funktion. Politiker hören sich die Wünsche und Interessen der Lobbyisten an und bearbeiten sie nach den Regeln des politischen Betriebs. Eine wichtige Richtschnur ist dabei ihre politische Urteilskraft. Eine klare Trennung der beiden Sphären voneinander ist notwendig, doch beide Seiten müssen natürlich miteinander sprechen. Dafür sind eindeutige Regeln unerlässlich: Transparenz, Freiheit von Korruption und Abkühlphasen nach einem Wechsel von der einen auf die andere Seite.
Marco Bülow, 42, ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Autor des Buches „Wir Abnicker“
Nein, zumindest dürften gewählte Abgeordnete keine Lobbyisten sein. Sie sollten ausschließlich den Menschen dienen, die sie gewählt haben und von denen sie auch bezahlt werden. Leider verschwimmen die Grenzen zwischen Politik und Lobbyismus jedoch zunehmend. Ehemalige Mitglieder der Bundesregierung wie Eckart von Klaeden und Ronald Pofalla bestimmen die Schlagzeilen, sind aber keine Einzelfälle. Zudem lassen sich zu viele Volksvertreter von Lobbyisten zu sehr beeinflussen oder sogar vor deren Karren spannen. Ausgewogene Interessenvertretung ist hilfreich, der Deutsche Bundestag darf aber nicht zu einer Kaderschmiede für einige Unternehmen werden. Ein Bundestagsmandat ist eine ehrenvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Es gebietet der Respekt davor, dass wir uns auf diese Tätigkeit konzentrieren und sie nicht als ein Karrieresprungbrett in besser bezahlte Wirtschaftsposten sehen. Wir benötigen eine Begrenzung der Nebentätigkeiten, ein verpflichtendes Lobbyregister und eine Karenzzeit nach der politischen Tätigkeit – die allerdings nur für bezahlte Lobbytätigkeit gilt, damit ist also kein Berufsverbot ausgesprochen! Dazu verpflichten sich bereits über vierzig Abgeordnete in einem von mir initiierten Verhaltenskodex.