: Ein Streit um Modelle
Aus Berlin ULRIKE HERRMANN und ANNETTE JENSEN
Verkehrsminister Tiefensee prescht vor: Im Herbst erst steht die Entscheidung an, wie die Bahn privatisiert werden soll, doch schon jetzt sagt der SPD-Politiker: „Die Würfel sind gefallen für das integrierte Modell.“
Mit diesem „integrierten Modell“ war stets gemeint, dass die Bahn nicht zerschlagen wird und ihr Steckennetz behält, wenn sie an private Kapitalgeber verkauft wird. Dafür plädiert vor allem Bahn-Chef Mehdorn. Seit einigen Monaten steht auch Tiefensee auf seiner Seite.
Das „integrierte Modell“ ist jedoch umstritten: In einer Anhörung im Bundestag im Mai haben sich alle Experten dagegen ausgesprochen, Bahn und Streckennetz gemeinsam zu verkaufen. Auch Jürgen Basedow, Vorsitzender der Monopolkommission, warnte davor.
Und jetzt ist dieses „integrierte Modell“ plötzlich beschlossen? „Das ist Propagandarummel – entfacht von wem auch immer“, kommentierte Klaus Lippold (CDU), Vorsitzender des Verkehrsausschusses. „Die Entscheidung fällt im September.“ Dann wollen Bundestag und Kabinett gemeinsame Eckpunkte festlegen. Erst vor ein paar Tagen hatte sich die Unionsfraktion ganz klar festgelegt: Der Bund muss Eigentümer des Netzes bleiben. Auch die SPD-Fraktion ist im Prinzip dieser Meinung.
Dieses „Eigentumsmodell“ würde bei einem Verkauf der Bahn bedeuten, dass der Konzern juristisch von seinem Streckennetz getrennt wird, das weiterhin dem Bund gehörte. Das entspricht nicht dem „integrierten Modell“, das der Verkehrsminister favorisiert. Er hat das „Eigentumsmodell“ daher bisher immer abgelehnt.
Tiefensee reagierte prompt. Er verkündete gestern überraschend, nun habe eine „neue Etappe“ begonnen. Rhetorisch geht es da ums Ganze: „Wichtige Entscheidungen“ seien noch zu fällen, „harte Brocken“ wegzuräumen und „erhebliche Wegstrecken der Diskussion“ zurückzulegen. Doch faktisch versucht Tiefensee, sich unauffällig an die Position der Fraktionen anzunähern. Ihm geht es jetzt um „ein Integrationsmodell in zwei Varianten“.
Variante 1: Die Schienen gehen in das Eigentum der Bahn über und werden mit dem Gesamtkonzern an die Börse gebracht. Allerdings soll das Streckennetz „in überschaubarer Zeit“ wieder an den Bund zurückfallen. Wann das sein könnte, ließ Tiefensee gestern offen. 130 Milliarden Euro ist das Netz wert, schätzen Experten.
Variante 2: „ein integrierter Konzern mit Netzbesitz“. Wichtig ist dabei das Wort „Besitz“. Die Bahn würde die Schienen verwalten, doch der Bund bliebe Eigentümer. Das ist genau die Lösung, die die Fraktionen und Experten bisher „Eigentumsmodell“ genannt haben.
Bei beiden Varianten würde die Bahn aber als Gesamtkonzern erhalten bleiben. Damit aber wird es für die Konkurrenten schwer: Offiziell gibt es schon seit 12 Jahren Wettbewerb auf den Schienen, doch liegt der Marktanteil der anderen Bahnanbieter bei nur 9 Prozent. Immer wieder beschweren sich die kleinen Gesellschaften, dass die Bahn überhöhte Preise für ihre Strecken und Bahnhöfe nimmt – oder die Fahrpläne extra ungünstig gestaltet, um Bewerber fernzuhalten. Um solche Phänomene zu verhindern, will Tiefensee die Bundesnetzagentur stärken, die schon jetzt die Bahn beaufsichtigt. Unter anderem soll sie mehr Personal erhalten.
Tiefensee wird von der Bahn-Gewerkschaft Transnet unterstützt, die mit Horrorszenarien aufwartet: 80.000 Jobs gingen verloren, wenn der Konzern von seinem Streckennetz getrennt würde. Allerdings hat ausgerechnet die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) widersprochen: „ blanker Unsinn“. Bei echter Konkurrenz würden die anderen Bahn-Betriebe entsprechend neue Arbeitsplätze schaffen.