: Mehr Bass!
SUB:STANCE NACHT Ausgerechnet in der Technobastion Berghain findet Europas größte Dubstep-Partyreihe statt. Heute Abend spielt dort, was in der Szene Rang und Namen hat, auch die praktisch untanzbaren Mount Kimbie
VON TIM CASPAR BOEHME
Das Berghain ist nicht nur der „beste Club der Welt“ und beliebtes Romansujet. Zu seinem Programm gehört auch die Partyreihe Sub:stance, in der eine für den Techno-Koloss ungewöhnliche Musik erklingt: Dubstep.
Diese in London entstandene Stilrichtung zeichnet sich zwar durch Berghain-konforme Bassbetontheit aus, hat aber ansonsten nur wenig von der stoischen Geradlinigkeit von Techno und House, viel zu nervös hastet der Rhythmus über die Tanzfläche. Den Erfolg von Sub:stance konnte das nicht verhindern. Heute Abend wird der zweite Geburtstag der größten Dubstep-Nacht Europas mit großem Staraufgebot gefeiert.
Als die Briten Paul Rose und Paul „Spymania“ Fowler vor zwei Jahren die Betreiber des Berghain aufsuchten, um ihnen eine Dubstep-Party vorzuschlagen, waren sie sich nicht sicher, was dabei herauskommen würde. „Es muss schon vorab Gespräche gegeben haben“, ist Paul Rose überzeugt. „Als wir zu ihnen gingen, dachten wir, dass sie uns bestenfalls einen Sonntag oder Donnerstag anbieten würden. Doch sie waren der Sache gegenüber vom ersten Treffen an sehr positiv eingestellt. Und sie sagten uns: Nehmt einen Freitag. Also sagten wir: Gut, dann nehmen wir den Freitag.“
Ihr Experiment ging auf, zur großen Freude von Rose und Fowler. „Es war ein Risiko, nicht nur für uns, sondern auch für das Berghain“, erinnert sich Rose. „Wir wollten, dass es ein echter Erfolg wird, vor allem weil Berlin so stark an Techno und House orientiert ist. Doch jede Party, die wir gemacht haben, war eine angenehme Überraschung.“ Nach heutigem Verständnis ist die Sub:stance-Reihe auch keine reine Dubstep-Veranstaltung, sondern ein Brückenschlag zwischen gerade und ungerade, zwischen Londoner Quirligkeit und Berliner Ebenmaß, bei dem vertrackte Beats und Techno-Puls in einen Mix geworfen werden. Hin und wieder ist die Balance zwischen den beiden Welten gar nicht einfach.
„Das Berghain-Stammpublikum kommt zu uns, andererseits werfen uns manche Leute vor, wir würden nicht genug Dubstep spielen“, so Rose. Dass der Berliner Dubtechno-Pionier Robert Henke alias Monolake heute Abend auch auf dem Programm steht, mag manchem Orthodoxen aufstoßen, dabei passen Henkes tiefenakustische Entwürfe bestens in die Umgebung der britischen Basswelten.
Ohnehin ist Dubstep weit offener und kompatibler, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Für Rose, der vor drei Jahren aus der Bass-Hochburg London an die Spree zog und von Anfang an zur Szene gehörte, ist der Stilmix von Sub:stance sogar eine Besinnung auf die Wurzeln der Musik: „In den Anfangstagen von Dubstep war es genauso. Was ich heute mache, ist viel näher an dem, wie Dubstep ursprünglich gedacht war, als dieses Klischee, das durch seine große Popularität entstanden ist. Manches von meinen Sachen klingt völlig anders als das, was die Leute von einer Dubstep-Platte erwarten. Ich denke gleichwohl, dass es seine Ästhetik wahrt, auch wenn es nicht der üblichen Stilschablone entspricht.“
Das gilt erst recht für die Musik seines Labels Hotflush Recordings, auf dem er selbst als Scuba veröffentlicht. So scheuen weder Rose noch sein Labelkollege Sigha die Nähe zu Minimal House, während Neuzugänge wie Sepalcure oder George Fitzgerald subtile Spielarten von Dubstep perfektionieren, ohne das gängige Vulgärgedröhne im Tieffrequenzbereich zu bedienen.
Die größte Überraschung im Katalog von Hotflush sind allerdings die zwei jungen Briten von Mount Kimbie. Ihre Musik hat mit Dubstep genauso viel zu tun wie mit Ambient und Folk. Statt Clubtracks produzieren sie experimentelle Pop-Texturen, in denen allenfalls Spurenelemente von Bassmusik nachgewiesen werden können. Doch gerade diese musikalischen Außenseiter mutieren momentan zum größten Hype des Labels überhaupt.
Ihr demnächst erscheinendes Debütalbum überrascht gleich in zweifacher Hinsicht, denn es wird nicht nur den äußerst hohen Erwartungen gerecht, sondern es klingt auch durchgehend freundlich-exzentrisch. Bevor sie im August wieder mit den Jungstars von The xx auf Tour gehen, kann man sie heute im Berghain bewundern.
Paul Rose hingegen wird gleich in zwei verschiedenen Identitäten an den Plattentellern stehen. Bevor er ab den frühen Samstagmorgenstunden das Berghain als Scuba beschallt, gibt er sich in der Panorama Bar unter seinem House-Alias SCB die Ehre. Hier wird der Berlin-Einfluss unüberhörbar: „Stilistisch bin ich immer schon mehr von Berlin als von London beeinflusst gewesen. Aber SCB hätte ich in London vermutlich nicht gemacht. Das entstand tatsächlich aus dem Wunsch, meine Tracks in der Panorama Bar zu hören. Es ist einfach mein Lieblings-Ort auf der Welt, um in den Club zu gehen.“
■ Sub:stance u.a. mit Scuba, Mount Kimbie, Monolake, Appleblim, Paul Spymania, heute im Berghain, 24 Uhr Scuba: „Sub:stance“ (Ostgut Ton), Scuba: „Triangulation“ (Hotflush)