: Das Gesicht der Studiproteste
Amin Benaissa, der Vorsitzende des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren, ist die zentrale Figur der Proteste gegen das Bezahlstudium. Er organisiert die erste bundesweite Demonstration, für die er am Donnerstag 10.000 Studierende erwartet
VON SASCHA TEGTMEIER
Wenn Amin Benaissa von den Studentenprotesten erzählt, klingt er wie ein Veteran: detailverliebt und mit dem Bewusstsein, etwas Wichtiges erlebt zu haben. „Auf einmal sind dreitausend Leute Richtung Autobahn gelaufen“, sagt er und skizziert auf einem Zettel die Route. „Dreihundert sind dann eine Böschung rauf.“ Die Polizei habe „natürlich draufgepfeffert“. Auch Letzteres sagt er langsam, im ruhigen, sonoren Ton. Nur die vielen Bewegungen seiner Arme verraten: Er ist aufgeregt.
Benaissa ist 26 Jahre alt und berichtet von Ereignissen, die nicht Jahre zurückliegen, sondern gerade mal sechs Wochen. Am 17. Mai blockierte der Vorsitzende der Frankfurter Studierendenvertretung (Asta) mit Kommilitonen erstmals eine Autobahn, um gegen die drohenden Studiengebühren in Hessen zu protestieren.
Seitdem kommen die Studis beinahe jede Woche mit ihren Aktionen in die Schlagzeilen – mittlerweile ist Benaissa geübt darin, Pressekonferenzen zu leiten und der Tagesschau zu erklären, warum die Studenten auf einmal nicht mehr friedlich streiken, sondern auf die Barrikaden gehen.
Der Sohn eines Marokkaners ist Geschäftsführer des bundesweit agierenden Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS), das nach den Studi-Demonstrationen im Jahre 2003 gegründet wurde. Es wird nicht zuletzt an seiner Person hängen, ob die Proteste die natürliche Grenze jeder studentischen Aktion überdauern: die Semesterferien.
Am Donnerstag will Benaissa die Proteste in den Bundesländern erstmals zu einer bundesweiten Großdemonstration zusammenführen: in seiner Heimatstadt Frankfurt. „Mit der Demo werden wir zeigen, dass wir eine Masse hinter uns haben“, sagt er. Dieses Mal sollen dabei keine Mülltonnen brennen, keine Straßen blockiert werden. „Die Landesregierung will uns in die Chaotenecke stellen, damit uns keiner mehr ernst nimmt“, sagt Benaissa.
Mit Trommeln und Tanzen soll dieses Mal demonstriert werden. „Total peacig“ nennt Benaissa das. Ähnliches war allerding schon für die hessenweite Demo am vergangenen Mittwoch angekündigt – trotzdem kam es zu dem, was die Polizei Ausschreitungen nennt. „Es hat Spaß gemacht, auch wenn es eine ernste Sache ist“, kommentierte er später die Aktionen.
Benaissa erfüllt auf den ersten Blick das Klischee eines locker-linken Protestlers. Doch einiges passt nicht: Benaissa studiert Volkswirtschaftslehre. Auch will er nicht, wie man es erwarten könnte, nach seinem Studium in die Politik gehen – er will an der Uni bleiben und weiter das Wirtschaftssystem erforschen.
Seit die Proteste ins Rollen gekommen sind, hat er jedoch keine Zeit mehr zum Studieren und ist nun für ein Semster von der Uni beurlaubt. In der vergangenen Woche hat er sich mit seinen Mitstreitern vom ABS im nordrhein-westfälischen Hattingen getroffen, um die bundesweite Großdemo am Donnerstag vorzubereiten. Das Aktionsbündnis, so war dort allen klar, ist die einzige Chance, im föderalen Deutschland eine gemeinsame Stimme des Widerstands zu bilden. Das Gesicht dazu könnte Amin Benaissa sein. „Er wird das face against the fees“, sagte Jochen Dahm vom ABS nach der Konferenz.
Benaissa selbst versucht, sich möglichst bescheiden zu geben. „Es wird um meine Person so ein Wirbel gemacht. Das ist eher problematisch“, kokettiert er. Sein Auftreten ist tatsächlich unprätentiös: Er trägt kurze Hosen, Turnschuhe und ein gelbes Protest-T-Shirt: „Für Solidarität und freie Bildung“ steht darauf.
Doch seine Lockerheit täuscht nicht darüber hinweg, dass er sich seiner Rolle sehr wohl bewusst ist: „Ich nehme die schon an“, sagt er mit leicht heroischem Unterton. Das habe er so aber nicht gewollt, das habe sich alles „einfach so“ entwickelt.
Ganz so unschuldig ist Benaissa allerdings nicht daran, die zentrale Figur der Studiproteste geworden zu sein. Als die Demos im Mai begannen, war die 23-jährige Verena Vay Vorsitzende des Astas – Benaissa übernahm dann kurzerhand den Vorsitz. „Ich habe mehr Erfahrung mit Protesten“, begründet er das lakonisch. Schon bei den Protesten 2003 sei er dabei gewesen. Verdrängt haben will er seine Vorgängerin jedoch nicht.
Benaissa versteht es offensichtlich, Leute zu motivieren und zu begeistern. Bei der Hattinger Konferenz kommen immer wieder Studierende zu ihm, um Strategien für die Zukunft der Proteste abzusprechen. Er blickt dann durch seine eckige Brille mit dickem Rahmen, wie sie früher nur Architekten trugen, und sagt Dinge wie: „Ja, dann ruf doch mal den Daniel in Baden-Württemberg an.“
Benaissa ist ein Netzwerker. Bis zu 2.000 Kilometer legt er an manchen Tagen zurück. Er besucht die lokalen Protestgruppen in ganz Deutschland und gibt ihnen Ratschläge, wie sie mehr Kommilitonen für ihre Proteste mobilisieren können. Er will die Proteste vor allem thematisch ausweiten: „Es geht nicht nur um Studiengebühren“, sagt er, „sondern um Sozialabbau allgemein.“
Ein Thema ist für Benaissa allerdings tabu: Wie könnten Studiengebühren sinnvoll umgesetzt werden? „Ich werde mich nicht zum Gehilfen der Landesregierung machen“, sagt er. Auch wenn die Studiengebühren in allen Bundesländern eingeführt sind, will er gegen das Bezahlstudium kämpfen. Am Donnerstag wird sich in Frankfurt zeigen, wie viele er dabei hinter sich hat. Amin Benaissa rechnet mit mindestens 10.000 Demonstranten.