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Archiv-Artikel

Die Puppe im Netz

DAS SCHLAGLOCH von ILIJA TROJANOW

In Bulgarien ist die Mafia nicht ein Teil des Staates, sondern der Staat ist ein Teil der Mafia gewordenZum EU-Beitritt gibt es mehr Schutzklauseln als im Ehevertrag eines Millionärs mit einem Promiluder

Der Geschäftsmann: Puppen sind gefährlich, wenn sie sich einbilden, sie ziehen die Fäden. Wenn sie meinen, das Geld, das sie verwalten, gehöre ihnen. Wenn sie so reden, als hätten sie eine eigene Stimme und einen eigenen Verstand. Ilija Pawlow war so eine Puppe. Laut Schätzungen war er mit seinem Privatvermögen von 1,5 Milliarden Dollar der achtreichste Mann in Osteuropa.

Dabei hatte er sein Berufsleben als Ringer begonnen, als mittelmäßiger Ringer. Einige Jahre später gehörte ihm der größte bulgarische Konzern, Multigrup. Pawlow erhielt Orden von Russland und Israel, ging ein und aus bei Exkönig und Präsidenten. Irgendwann begann er, an die Rolle zu glauben, die er ausfüllte, und er wollte – als Puppe! – graue Eminenz spielen. Er begann, Deutsche, Engländer und Amerikaner in den Aufsichtsrat zu bringen, und investierte das Kapital des Konzerns zunehmend in den USA. Er löste sich von der russisch-bulgarischen Mafia, die ihn erschaffen hatte, und das konnte sie nicht zulassen, denn keine Mafia kann verzeihen, dass sich jemand von ihr entfernt.

Offenbar hat Ilija Pawlow Signale erhalten, dass er auf der Abschussliste stand, denn als Wladimir Putin in Sofia zu Staatsbesuch war, drang er mithilfe einer gefälschten Einladung beim Empfang in der russischen Botschaft ein und stürzte auf Putin zu, doch dieser weigerte sich, mit ihm zu reden. Einige Tage später, beim Verlassen seines Büros, umgeben von zehn Bodyguards, traf ihn ein Schuss mitten ins Herz. Das war im März des Jahres 2003. Zur Totenmesse erwies ihm die gesamte Elite des Landes – die Fotos in den Zeitungen hatten eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Beerdigungsszenen von Coppola – die letzte Ehre. Und als er in seinem Heimatdorf Arbanasi im Norden Bulgariens beerdigt wurde, standen sieben Bischöfe an seinem Grab – die Mehrheit der Heiligen Synode des Landes. Kein anderer Bulgare ist je mit solch hochrangigem Beistand verabschiedet worden.

Die organisierte Kriminalität: Wie alle anderen Auftragsmorde blieb auch dieser ungesühnt. Kein Wunder, denn wie der ehemalige stellvertretende Chef der politischen Polizei, Zviatko Zwetkow, einer bulgarischen Zeitung erklärte: „Ein Auftragsmord ohne Duldung oder Mitarbeit der Polizei ist nicht möglich. Die Polizei ist als Emanation des Staates ein fester Bestandteil auch der organisierten Kriminalität.“ Alle Jahre wieder wird ein Krieg gegen die Mafia erklärt, gegen Korruption, Waffen- und Drogenhandel, Geldwäsche, Prostitution, Schutzgelderpressung, falsche Kredite und Betrug aller Art, und jedes Mal erweist sich dieser Krieg als harmlos.

Die bulgarische Mafia ist ein Resultat der totalitären Vergangenheit. In Sizilien formte sich die Mafia, als das Habsburger Imperium sich zurückzog und die Mehrheit seiner Angestellten in Armee und Polizei arbeitslos wurde. Die Mafia wurde in der Folgezeit zu einem Annex des Staates. In Ländern wie Bulgarien oder Russland hingegen gründet die Macht der Mafia auf die Allmacht der Kommunistischen Partei und der Staatssicherheitsdienste. Die Nomenklatura erschuf eine parallele Schattenwirtschaft, um mit Waffen, Drogen und allem möglichen anderen zu handeln, vor allem, um Devisen zu verdienen. Und als die Wende kam, erwiesen sich diese Strukturen als sehr nützlich, durch vielfältige Metamorphosen und Mutationen das geraubte Volksvermögen in privates Kapital umzuwandeln.

Hält man sich den Spruch von Lenin vor Augen hält, dass Diktatur die von keinem Gesetz eingeschränkte Macht ist, wird man verstehen, wie klein die Cosa Nostra im Vergleich zu der Krake der Mafia in Russland ist. Letztere hat die eigene Gesellschaft infiziert und ist in der Lage, auch die alten EU-Länder anzustecken. Die hierarchische Struktur des Imperiums mit dem Zentrum in Moskau spiegelt sich in den heutigen Mafianetzen wider, denn die Nabelschnur ist noch nicht durchtrennt.

Der Generalstaatsanwalt: Nikola Filtschew war – wie die meisten hochrangigen Vertreter des bulgarischen Staates – Mitarbeiter der Staatssicherheit vor 1989, und wahrscheinlich auch des KGB. Nach der Wende gebärdete er sich zuerst als Oppositioneller, doch nach dem Fall der konservativen Regierung von Iwan Kostow begann er, regelmäßig nach Moskau zu reisen. So erfolgreich waren seine Aufenthalte, dass ihm Putin vor nicht allzu langer Zeit einen hohen Orden für besondere Dienste am russischen Staat verlieh und eine 15 Kilo schwere illustrierte und vergoldete Geschichte Russlands mit dem Titel: „Russland – ruhmreiches Schicksal“ überreichte. Die Zeremonie fand in der russischen Botschaft in Sofia statt. Ein etwas angetrunkener Filtschew erhob sich und rezitierte ein Gedicht: „Wie Russland gibt es kein zweites Land so mächtig auf Erden, es ist unser Fundament, es ist unsere Vorbild.“ Dann sprach er mit Tränen in den Augen über das gemeinsame Schicksal von Russland und Bulgarien, und die vielen anwesenden Uniformierten nickten zustimmend.

Sieben Jahre, 1999 bis 2006, hat Filtschew, das Verbrechen bekämpft: Es gab hunderte von Auftragsmorden an führenden Businessmännern und tausende Tote unter den niederen Chargen aus dem Business, ob schwarz, grau oder weiß. Wie viele dieser Morde hat sein Amt aufgeklärt? Keinen! Kein einziger Mafiaboss wurde angeklagt. Filtschew verhinderte jegliche Untersuchung, die auf die Einmischung der russischen Mafia hingewiesen hätte. Nach seiner Amtszeit verlangte die Opposition, er selbst solle wegen diverser Verbrechen angeklagt werden, also wurde er zu seinem Schutz als Botschafter nach Kasachstan geschickt.

Die Europäische Union: Am 1. Januar 2007 soll Bulgarien in die EU aufgenommen werden, aber es werden wohl mehr Schutzklauseln aktiviert werden als in dem Ehevertrag eines Millionärs mit einem Promiluder. In den letzten Wochen übertrumpfen sich die Regierenden Europas, den Balkanländern Fortschritte zu attestieren. Obwohl bislang jeder ihrer entsandten Spezialisten mit einer strengen Warnung zurückgekehrte.

Im März dieses Jahres war der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten, Klaus Jansen, in Bulgarien: „Ich habe nach der Anzahl der Polizisten, nach ihrem statistischen Alter und ihrem Dienstgrad gefragt. Daran kann man erkennen, ob in der Polizei viele neue Polizisten arbeiten, die modern und demokratisch ausgebildet sind, oder ob wir noch viele Leute haben, die schon im sozialistischen System tätig waren. Diese Information wurde als geheim eingestuft. Darüber kann ich nur lachen. Ich war da, um eine Inspektion durchzuführen, und ich habe immer wieder die Antwort bekommen: Das gefährdet das nationale Sicherheitsinteresse. Wenn die EU geheime Information an Bulgarien gibt, wird diese an die organisierte Kriminalität gelangen.“ (Aus einem Interview mit „24 Tschasa“)

Wie soll man da die neuerdings ausgestellten Persilscheine erklären? Denn wie Herr Jansen so zutreffend sagte: „Die Probleme Bulgariens werden ab 2007 meine Probleme sein.“

Probleme, die man gar nicht überschätzen kann. Denn die Mafia in Bulgarien ist nicht Teil des Staates, sondern der Staat Teil der Mafia.