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Archiv-Artikel

Reisen zum Ruhme des Kraftwagens

Propaganda mit Stinnes und Lufthansa: Die Filmreihe „Expeditionen“ im Zeughauskino gräbt Dokumentarfilme aus den 20er- und 30er-Jahren aus

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der Kameramann dreht an der Kurbel, dann wird ein dicker Atlas aufgeschlagen. Und schon sind wir auf den engen Straßen von Paotow, einer Stadt an der chinesischen Mauer, voller Menschen. Wir sehen, wie einem Pferd ein Löffel Medizin verabreicht wird, ein paar Männer beim Spiel, den Auftritt mongolischer Ringkämpfer. Mit dieser Sequenz beginnt der Stummfilm „Mit Sven Hedin durch Asiens Wüsten“ von 1929, der die Reihe „Expeditionen“ im Zeughauskino eröffnet.

Das schwarzweiße Flackern und die ausgefransten Ränder der Bilder, die der Kameramann Paul Lieberenz in seinem Kurbelkasten sammelte, machen einen flüchtigen, impressionistischen Eindruck. So könnte es gewesen sein, das Wochenschaugefühl vor ungefähr 70 Jahren, als das Kino der erste Ort war, um einer fremden Welt in Bildern zu begegnen.

Expeditionsgeschichten sind noch immer in. Ihr Gestus setzt sich fort in den unzählbaren Reise- und Naturkundefilmen, die jeden Abend im Fernsehen bis in den entlegensten Winkel der Welt vordringen und zugetextet mit Weltverständnis das eigene Zuhause zu einem kleinen Punkt am Rande des Universums zusammenschrumpeln lassen. Man kann auch an den Erfolg von neuen Romanen wie Ilija Trojanows „Der Weltensammler“ über einen englischen Reisenden im 19. Jahrhundert denken: eine Reflexion über die Anziehungskraft des Fremden und die Missverständnisse der Aneignung, die auch lange nach der Kolonialzeit noch zu schaffen machen. Vor dem Horizont solcher Erwartungen überrascht, wie naiv und oberflächlich und teilweise explizit propagandistisch die Expeditionsfilme aus dem Deutschland der 20er- und 30er-Jahre sind – obwohl man ja weiß, dass der Dokumentarfilm damals ein Feld der Politisierung und Polarisierung war, von der rechten und der linken Seite als ideologisches Instrument entdeckt. Erhellend sind oft Kontext, Produktionsbedingungen und Geldgeber: Diese Geschichte hat die Filmhistorikerin Gerlinde Waz erforscht und zum Beispiel herausgefunden, dass „Mit Sven Hedin durch Asiens Wüsten“ von der Lufthansa mitfinanziert wurde, die eine Fluglinie Berlin – Peking plante.

Wege durch Kamelskelette

Im Film selbst erfährt man wenig über die Motive der Reise, als ob die Entdeckung des Unbekannten Selbstzweck wäre. Wie viele Wissenschaftler diese Expedition begleiteten, bekommt man noch nicht einmal mit. Der Fokus von Bilderzählung und Zwischentiteln liegt mehr auf der logistischen Leistung: wie man 150 Expeditionskisten baut, wie viele Silberdollar Kamele kosten, wie hoch die Berge sind, wie weit die Strecken, wo es nichts gibt außer Felsen und Kamelskeletten. Von den eigentlichen Wegen durch die Wüsten bleiben nur ein paar Striche auf der Karte. Mehr sieht man dafür vom Lagerleben und den Härten von Kälte und Hunger. Natürlich berühren die alten Filmbilder, weil sie immer den Moment des Unverfälschten enthalten. Und doch fehlt ein tieferes Interesse für die Begegnung mit anderen Kulturen. Der Kameramann Paul Lieberenz wurde in der Nazizeit ein großer Produzent – Spezialität: Kolonialfilme.

Der Film als „Dokument eroberter Fernen und Beweis erbrachter Leistungen“: So verstand Clärenore Stinnes, Rennfahrerin, ihre Auto-Weltreise – die wahrscheinlich erste einer Frau. Die Bilder des Tobis-Klangfilms „Mit dem Auto durch zwei Welten“ (1931) gleichen den Videos, die auch heute noch viele Reisende mit nach Hause bringen. Allein das gestelzte Pathos, mit dem Clärenore Stinnes den Kommentar vorliest, ist befremdlich und passt so gar nicht zu dem glamourösen Geist, den man einem solchen motortechnischen Wagnis gerne andichten würde. Klar, man möchte ihren Mut, sich als Frau in einem männerdominierten Genre einzubringen, gerne loben. Aber wie sie sich freut, dass ihr Kameramann aus dem „germanischen Brudervolk der Schweden“ stammt, lässt wenig Gutes erwarten. Tatsächlich bleiben die Bilder oberflächlich: Der Orient leuchtet, die Pässe sind hoch, in der Ukraine blühen die Sonnenblumen. Für Spannung sorgen vor allem Schlammlöcher, schlechte Straßen und eine äußerst illustrative Musik, die keinen Zweifel am eigentlichen Held des Films lässt: dem deutschen Kraftwagen.

Dass es auch noch propagandistischer ging, zeigt der Kurzfilm „Bei den deutschen Kolonisten in Südwestafrika“ von 1933, der in Bewunderung des Deutschtums aufgeht, das dort auch nach dem Ende der Kolonialzeit hochgehalten wurde. Das zu entdeckende Land muss ausschließlich zur fotogenen Kulisse großer Taten herhalten. Eine Ausnahme von diesem Schema soll der Film „Menschen im Busch“ sein, den die Ethnologin Gulla Pfeffer 1930 in einem Dorf in Togo drehte. In ihm sieht Gerlinde Waz, die ein Buch über die Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland geschrieben hat, den „vermutlich ersten deutschen Film über fremde Kulturen, der konsequent die Perspektive der Gefilmten einnimmt. Zum ersten Mal erhalten Schwarze eine Stimme, das ist eine kleine Sensation.“ Die Reihe aber zeigt, dass ein solches Eingehen auf die Menschen und Interesse für ihren Alltag in den Zwanzigern und Dreißigern selten war im deutschen Dokumentarfilm.

Die Reihe „Expeditionen“ (immer donnerstags, 19 Uhr, im Zeughauskino) beginnt heute mit „Mit Sven Hedin durch Asiens Wüsten“; weiteres Programm unter www.dhm/kino