: Bilder eines Besessenen
COMIC-AUSTELLUNG Das LCB Berlin zeigt Jacques Tardi
Comics in den heiligen Hallen der Literatur? Florian Höllerer, neuer Leiter des Literarischen Colloquiums am Wannsee (LCB), schätzt das Medium und setzt zu seinem Einstand in Berlin ein Zeichen: Er widmet dem französischen Comic-Altstar Jacques Tardi eine Ausstellung, die er für seine vorherige Wirkungsstätte, das Literaturhaus Stuttgart konzipierte.
Das Auditorium des LCB ist mit gezeichneten Seiten des Zeichners behängt, vor allem aus dem aktuellen Epos „Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B“. Tardi, Jahrgang 1946, ist ein Pionier des anspruchsvollen Comics. Bereits Mitte der Siebziger, als es den Begriff „Graphic Novel“ noch nicht gab, kreierte er Comics mit literarischem Anspruch, gezeichnet in einem prägnanten klaren Tuschestil, der auch groteske und fantastische Elemente aufweist. In stimmungsvollen Kriminalroman-Adaptionen nach Léo Malet („120, rue de la Gare“) wie der morbiden Fin-de-Siècle-Reihe „Adele“ hat Tardi am Rande immer wieder den Krieg thematisiert, bis er ihn ins Zentrum mehrerer umfangreicher Werke stellte – inspiriert durch familiäre Bezüge.
Sein Großvater diente im Ersten, sein Vater im Zweiten Weltkrieg als Soldat. In „Grabenkrieg“, „Soldat Varlot“ und „Elender Krieg“ beschrieb er die Gräuel der Schützengräben. „Ich, René Tardi“ (wie alles erschienen bei Edition Moderne) steht im Mittelpunkt der Ausstellung und legt, ausgehend von den Notizen seines Vaters über seine Gefangenschaft, erschütternde Details über die Zustände in deutschen Lagern bloß.
Allen seinen Arbeiten gemein ist die penible Recherche von Schauplätzen, Kleidung und Requisiten. Die gnadenlose, realistische Darstellung des Krieges ist dem Pazifisten Tardi das einzig geeignete Mittel, um abzuschrecken.
Mit seinen Comics führt Tardi die Tradition der großen Kriegszyklen der Kunstgeschichte fort, von Francisco de Goya bis Otto Dix. Die in hoher Qualität vergrößerten Zeichnungen, einige ältere Originalseiten Tardis sowie ausgewählte Texte machen es Betrachtern möglich, die Sogkraft der Bilder eines vom Zeichnen Besessenen zu erleben.RALPH TROMMER
■ LCB Berlin, bis 4. April. Vor und nach Veranstaltungen oder mit Anmeldung: Tel. (030) 8 16 99 60