: Abgründe einer Ehe
Nach 28 Jahren Ehe hat der Zollbeamte Heino N. seine Frau umgebracht. Nach außen galten die beiden als glückliches Paar. Keiner der Bekannten und Verwandten hat geahnt, was sich in ihrem Reihenhaus in Hamburg-Wandsbek abgespielt hat. Und auch heute noch scheint es Heino N. nicht wahrhaben zu wollen
Von ELKE SPANNER
Niemand würde sich mehr wünschen, das Geschehene rückgängig zu machen, als Heino N. selbst. Er weint pausenlos. Der 57-Jährige sitzt auf der Anklagebank im Hamburger Landgericht, den Blicken der Zuschauer wehrlos ausgesetzt, und hört sich an, wie ein psychiatrischer Gutachter öffentlich seine Ehe seziert. Denn Heino N. hat seine Frau Martina umgebracht. Nach 28-jähriger Beziehung erwürgte er sie am 13. Dezember vorigen Jahres. Bis zu dieser Tat hätte er gesagt, dass seine Ehe glücklich ist.
Heino N. fällt es schwer, das eigene Scheitern einzugestehen. Selbst als seine Frau tot war, rannte er vor der Wahrheit davon. Zwei Tage fuhr er mit ihrer Leiche im Kofferraum durch die Gegend, dann versenkte er sie in der Elbe. Die Staatsanwaltschaft interpretiert das als Verdeckungsabsicht und hat damit sicher Recht: Seinen Kindern hatte Heino N. vorgespielt, dass seine Frau spurlos verschwunden sei. Sein damaliges Verhalten zeigt aber auch, dass er selbst dann, als nichts mehr zu leugnen war, nicht zu seinem Leben stehen konnte, das Martina N. schließlich mit ihrem bezahlen musste.
Nach außen hin war die Familie aus Hamburg-Wandsbek so unauffällig, dass keiner ihrer Verwandten darüber Auskunft geben kann, wie es Heino und Martina N. tatsächlich miteinander gegangen ist. Er war Zollbeamter, sie arbeitete als Altenpflegerin. Die beiden Kinder, heute 27 und 22 Jahre alt, sind schon lange aus dem Haus. Sie waren eine „normale Familie“, sagt Sohn Matthias, und er spricht die Worte mit einer Gelassenheit aus, als könne er sich noch heute darüber freuen. Die Ehe seiner Eltern sei „schön“ gewesen, beteuert er: „Gestritten haben sie nie, und wenn, dann nur über Kleinigkeiten.“
Dass das nur die eine Seite der Wahrheit ist, muss der Sohn nun auf schmerzliche Weise erfahren. An jedem Verhandlungstag sitzt der 27-Jährige im Zuschauerraum. Er hat sich fest vorgenommen, seinem Vater beizustehen, obwohl der ihm die Mutter genommen hat. Dieser Entschluss verlangt ihm einiges ab: Im Gerichtssaal wird Matthias zum Zeugen einer Wahrheit, die auch er über Jahre nicht kannte. Oder hat er gewusst, dass die Eltern sich über eine Kontaktanzeige kennen lernten, weil sein Vater als junger Mann wegen „Minderwertigkeitsgefühlen“ zu alltäglicher Kontaktaufnahme kaum in der Lage war? Der Psychiater erzählt es ihm nun vor der vollbesetzten Zuschauerbank. Hier erfährt er auch, dass für seinen Vater seit dessen Pubertät „der Sex mit Prostituierten eine große Rolle spielte“. Zudem habe er immer wieder außereheliche Affären gehabt, von denen seine Frau mal wusste, mal nicht. Von der letzten Beziehung wusste Martina N. nichts. Matthias erfährt nun, dass die Geliebte, eine Kollegin seines Vaters, diesem noch heute Liebesbriefe ins Gefängnis schreibt.
Matthias N. ist Feuerwehrmann und darin geschult, in Krisensituationen die Fassung zu wahren. Das gelingt ihm auch in persönlicher Not. Schon seine Zeugenaussage hat er äußerlich ungerührt und in sachlichem Ton abgeleistet. Wie er seine Erlebnisse verarbeiten soll, wisse er noch nicht, hat er gesagt. Jetzt sieht er dem Gutachter unbeirrt und mit offenem Blick ins Gesicht.
Auch seine Schwester Sabine, die im Zuschauerraum neben ihm sitzt, ist um Fassung bemüht. Auch sie versucht, dem Psychiater in die Augen zu sehen, während sie dem Sektionsprotokoll der eigenen Familie lauscht. Doch ihr Blick gleitet immer wieder zum Vater auf der Anklagebank. Verzweifelt sieht sie zu ihm rüber, als wolle sie eine Antwort auf die Frage, was sie hier noch alles erfahren muss. Sie bekommt sie nicht, nicht einmal ein aufmunterndes Lächeln des Vaters. Der wagt keinen Blick zu seiner Familie im Zuschauerraum.
Vor Gericht entsteht das Bild eines Mannes, dem die Ehe immer wichtig war. Der seiner Frau dafür aber auch viel abverlangte. Im Alltag hatte Martina N. das Sagen. Er war zurückhaltend, sie eher forsch, also hat sie das gemeinsame Leben in ihrem Reihenhaus bestimmt. Gegen sie aufbegehrt hat er nie. Seine aggressiven Gefühle, sagt der Gutachter, habe er mit Sex kompensiert. Da musste seine Frau sich fügen, um ihn nicht zu verlieren. Vor fünf Jahren stand die Ehe auf der Kippe. Er hatte eine Affäre, sie wusste davon. Sie wollte sich trennen, wie sie ihrem Bruder anvertraute, wusste aber nicht, wie sie ein eigenständiges Leben finanzieren sollte. Also versöhnte man sich wieder. Die Beziehung sei danach viel intensiver geworden, beschreibt Matthias seinen Eindruck. Die Eltern hätten mehr zusammen unternommen und begonnen, ihr Haus neu einzurichten. Alles sah nach Zukunft aus, die beiden Kinder waren erleichtert.
Sie sahen nicht, dass Martina N. für die neue Harmonie einen hohen Preis bezahlen musste. Sie hat Heino N. seine sexuellen Wünsche auch dann erfüllt, wenn es nicht ihre waren. Das durfte er nicht merken: Wenn Heino N. den Eindruck hatte, dass sie „nur mitmacht“, wie der Gutachter es formuliert, dann ging er anschließend trotzdem wieder ins Bordell.
Vorigen Sommer dann hat die 53-Jährige sich für ihren Mann die Brust vergrößern lassen. Er habe es ihr „vorgeschlagen“, wie Heino N. vorsichtig formuliert. Sie wollte ihn halten. Die Gefahr, dass er zu einer anderen geht, stand als stete Drohung im Raum. Also tat sie ihm auch diesen Gefallen.
Zu dieser Seite seiner Ehe steht Heino N. bis heute nicht. Er spricht über sein Leben selbst so distanziert, als erstatte er Bericht über einen unbekannten Dritten. Wenn er von seinen Affären erzählt, ist nicht er selbst fremdgegangen, sondern „man hat sich im Hotel getroffen“. So verleugnet er den jahrelangen Betrug, während er ihn beschreibt. Dabei liegen die Fakten auf dem Tisch, sogar schriftlich: Das Gericht verliest den Liebesbrief seiner Freundin, mit der er bis zu seiner Inhaftierung zusammen war. Sie schreibt darin von Zukunftsplänen, die nun geplatzt seien. Und doch beteuert Heino N., dass diese Beziehung längst zuende gewesen sei, „man“ habe sich einvernehmlich getrennt, „man wollte die Ehen nicht auseinander reißen, jeder kam mit seinem Partner klar“.
Martina N. war „sehr verschlossen“, wie ihr Bruder Michael M. erzählt. Über ihre Gefühle gesprochen hat sie kaum. Das Gerücht, dass sie sich trennen wolle, machte vor fünf Jahren mal in der Familie die Runde. Die Schwester von Heino N. hörte davon, aber „die beiden waren 28 Jahre verheiratet, da kommt das doch mal vor“. Der Bruder der Getöteten hatte damals mit seiner Schwester über ihre Ehe gesprochen. Sie erzählte ihm, dass sie sich gerne trennen würde von „Herrn N.“, wie er seinen Schwager heute nennt. Er habe ihr zugeredet, den Schritt zu tun, sie sich aber doch nicht getraut. „Materielle Sicherheit“, sagt M. nun vor Gericht, „war meiner Schwester sehr, sehr wichtig.“
Das Gespräch sollte das einzige bleiben. In der Folgezeit habe er zur Kenntnis genommen, dass seine Schwester noch mit ihrem Mann zusammen war, mehr nicht. Ein Jahr später, auf dem Geburtstag von Tochter Sabine, habe er das sichere Gefühl gehabt: „Da stimmt was nicht.“ Angesprochen hat er sein Gefühl nicht. Nie wieder hat Michael M. nach dem Zustand der Ehe gefragt. „Wir haben immer nur ganz belanglose Gespräche am Telefon geführt.“ Irgendwie war er natürlich auch froh, dass die Familie zusammengeblieben ist. Wenn man zu Besuch im Reihenhaus in Hamburg-Wandsbek war, „war alles nett und ordentlich, wie man sich das vorstellt“, sagt Michael M. und ergänzt: „Und wie man sich das als Besucher wünscht.“
Am Abend des 13. Dezember kommt es zwischen den Eheleuten Heino und Martina N. zum Streit. Sie klagt über Schmerzen, die ihr die Implantate in der Brust bereiten. Sie macht ihm einen Vorwurf daraus, denn schließlich habe er die Operation gewollt. Heino N. nimmt seine Frau nicht tröstend in den Arm. Er weist seine Verantwortung zurück und verkündet seinen neuesten Plan: Er will sich im Intimbereich piercen lassen.
Martina N. hat vieles mitgemacht, aber das ist jetzt zuviel. Sie schreit los. „Du geiles Schwein“, soll sie geschrien haben, und dass man mit Heino N. unmöglich zusammenleben könne. Sie will in den Keller, um sich Rotwein zu holen, da kommt er hinterher, tief gekränkt und aufgebracht. Er schubst sie die Treppe runter. Sie richtet sich auf, er greift nach ihren Beinen und zieht sie unter ihr weg. Sie schlägt mit dem Kopf auf, blutet schon stark. Trotz der schweren Verletzungen ist sie ein weiteres Mal bereit, zu ihrem Mann zu stehen. Sie fleht ihn an, den Notarzt zu rufen, und verspricht zu lügen, dass alles „ein Unfall war“.
Tatsächlich will Heino N. kurz überlegt haben, dieses Angebot anzunehmen. Er stieg die Stufen hinauf in Richtung des Telefons. Dann aber machte er kurzentschlossen wieder kehrt, kniete sich hin und erwürgte seine Frau.
Das Urteil wird heute verkündet.