: Schmerzensgeld für Polizeihaft
POLIZEI Nach einer Demo in Bremen wurde D. wegen einer Petitesse stundenlang rechtswidrig inhaftiert. Sein Anwalt wirft der Polizei schwere Straftaten vor, dort aber wiegelt man immer noch ab
Für die einen ist es Freiheitsberaubung durch Polizisten, verbunden mit schwerer Nötigung und Aussageerpressung. Für die anderen ist es im Grunde eine normale Polizeikontrolle, allenfalls eine lässliche Sünde. Dabei geht es um die Frage: Wie viel Gedanken machen sich die Beamten in der täglichen Praxis über die Gewalt, die sie ausüben?
Im konkreten Fall geht es um Herrn D., der zusammen mit Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und etwa 4.000 anderen am 30. April 2011 gegen die NPD demonstrierte. Die Landtagswahl stand an, und in Bremen hatten sich 180 Rechtsextreme zusammengefunden. Kurz nach der Demo soll es zu einem Gerangel zwischen D. und einem Polizisten gekommen sein.
Der Student, den die Polizei dem „linken Milieu“ zurechnet, soll den Beamten „gegen den Oberkörper geschubst“ haben – was der ihm als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte auslegte. D. bestreitet den Vorwurf.
Dass er sich dennoch an Ort und Stelle auswies, nützte ihm wenig: Die Polizei sperrte ihn über vier Stunden ein, damit er nicht wieder demonstrierte.
Das war nicht nur „unverhältnismäßig“, wie das Landgericht Bremen später feststellte, sondern vor allem „rechtswidrig“. Und „möglicherweise fahrlässig“, wie der Anwalt der Polizei schreibt. Sven Sommerfeldt, der D. vertritt, sieht das anders: „Die Polizeibeamten haben vorsätzlich gehandelt.“ Weil sie D. „im klaren Bewusstsein“ eingesperrt hätten, dass sie das nie hätten tun dürfen.
D. wurde auf der Polizeiwache zunächst verhört und, nachdem er keine Angaben zur Sache machte, in eine Zelle gesperrt. Selbst als er erkennungsdienstlich behandelt und fotografiert worden war, sperrte man ihn erstmal wieder ein, auch wenn die Demo lange vorbei war. Dabei ist das nur zulässig, wenn ein Richter das ausdrücklich anordnet – oder Gefahr im Verzug besteht. Beides war nicht der Fall. „Die Entziehung der Freiheit ist mit der heftigste Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“, sagt Sommerfeldt.
In einem Polizeivermerk heißt es dazu: „Es kam zu keiner förmlichen Gewahrsamnahme“. Und weiter: „Die Voraussetzung für eine Festnahme werde von hier aus nicht gesehen“. Schon das Amtsgericht hatte festgestellt, dass die Festnahme in Anbetracht des „geringen Tatvorwurfs“ und des „nicht ersichtlichen Haftgrundes“ durch „keine explizite Vorschrift“ gedeckt war.
„Die Polizisten haben das Recht mit Füßen getreten“, sagt Sommerfeldt – „ohne sich auch nur ansatzweise Gedanken zu machen“. Zugleich hätten sie versucht, den Anschein zu erwecken, als bestünde eine „Ermächtigungsgrundlage“ für ihr Handeln. Dass dem nicht so war, haben zwei Gerichte klar festgestellt.
„Da es sich bei den Polizeibeamten nicht um ungelernte Hilfskräfte, sondern um Hochschulabsolventen handelt, sind ihnen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung bestens bekannt“, sagt Sommerfeldt. Dieses Wissen könne auch nicht verloren gehen – da die Polizisten regelmäßig fortgebildet werden.
Wohl aber ignoriert. Das wird auch in dem gegenwärtigen Rechtsstreit um ein angemessenes Schmerzensgeld für Herrn D. klar. „Der Kläger mag einen Schmerzensgeldanspruch haben“, sagt der Anwalt der Polizei – und hält 30 Euro für vollkommen „angemessen“.
Das wären sie aber nur, wenn die Festnahme des D. nicht von Anfang an rechtswidrig gewesen wäre. Sommerfeldt fordert 2.500 Euro Schmerzensgeld, was die Gegenseite wiederum für völlig übertrieben hält. Herr D. ist „Opfer von Straftaten geworden“, erwidert Sommerfeldt – Nötigung in einem besonders schweren Fall, Freiheitsberaubung, Aussageerpressung und rechtswidrige Ingewahrsamnahme. Ob sich die Polizei dafür verantworten muss? Die Ermittlungen dauern noch an. JAN ZIER