piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Snack vom Spieß mit Sonderstellung

DÖNER Das längst klassische Produkt dreht sich, unbeirrt von der neu auf die Straße gekommenen Imbisskonkurrenz, vor allem um sich

Grüne Woche

■ Verivorst ist so ein klassisches Gericht, das in Estland winters auf den Tisch kommt, serviert mit mulgikapsad. Also Blutwurst an Sauerkraut. Der kulinarische Exportschlager des baltischen Landes sind allerdings Beeren. In der weltweiten Stachelbeerproduktion liegt man auf Platz 11. Estland ist das diesjährige Partnerland der Internationalen Grünen Woche auf dem Messegelände Berlin. Gucken (und Essen) bei der weltgrößten Agrarmesse kann man bis 26. Januar, 10–18 Uhr. Tageskarte 13, Familienkarte 26 Euro.

VON JULIA NEUMANN

„Döner bleibt Döner“, sagt Remzi Kaplan, während er an seinem großen Schreibtisch sitzt und auf einem Bildschirm überwacht, wie Maschinen Kalbfleisch zerkleinern und Arbeiter es zu Kegeln schichten. Kaplan gehört die größte Dönerproduktion in Berlin. Zwei Stockwerke unter seinem Büro in der Weddinger Produktionsstätte stehen die bis zu 100 Kilo schweren Spieße in Kühlräumen. 1990 hat er mit der Dönerproduktion angefangen. Seitdem gilt für ihn: „Döner bleibt Döner.“ Mehrmals betont es der Mittfünfziger, als sei es ein Gesetz.

Schnell was auf die Hand, überall in der Stadt. Burger, Nudelboxen, Falafel – und den Döner. „Der Döner hat das griechische Gyros verdrängt und sich etabliert“, sagt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen. Ulusoy beobachtet die ethnische Ökonomie und sieht keine Anzeichen, dass Falafel und Co den Döner in die Ecke drängten. „Der Dönermarkt in Berlin ist schon seit der Gründungswelle in den Neunzigern gesättigt. Das Produkt hat sich längst durchgesetzt.“ Außerdem habe der Döner eine Sonderstellung, weil es keine anderen Anbieter gebe. „Hamburger und Pommes können Sie überall bekommen. Der Döner ist im türkischen Marktsegment angesiedelt.“ Und hat damit einen weiteren Vorteil: die türkischstämmige Kundschaft. „Davon lebt die Branche nicht“, so Ulusoy, „aber es ist eine Basiskundschaft. Berlin ist eine türkische Hochburg. Diese Community ist viel größer als die arabischstämmige.“ Wird denen der Döner nicht irgendwann langweilig? „Sie essen doch auch jeden Tag Brot zum Frühstück“, sagt Ulusoy.

Markt in Familienhand

Der Markt sei auch deshalb festgefügt, weil er aus vielen einzelnen Unternehmen und Familienbetrieben bestehe. „Es gab zwar kleinere Versuche von Franchisebetrieben, aber es gibt keine Global Player, die den Markt beherrschen.“ Dass sich Döneranbieter aufgrund der neuen Fastfoodangebote zurückzögen, sieht Ulusoy nicht: „Wenn überhaupt, dann hat das andere Gründe. Weil die Generation, die das aufgebaut hat, alt wird. Die Kinder haben eine höhere Ausbildung und wollen nicht im Dönerbetrieb des Vaters stehen.“

Doch auch die Konjunktur der Dönerbranche kennt Rückschläge. 2001 der BSE-Skandal – die Branche reagierte mit dem Hähnchendöner. 2006 dann der Gammelfleischskandal – der traf die Dönerindustrie direkt, die Presse berichtete über Ekelfleisch im Döner. Die Hersteller gingen in die Offensive. Der Verein Türkischer Dönerhersteller in Europa investierte 15.000 Euro und schaltete Werbung: erstmals ein Kinospot für den Döner. „Mächtiger als jeder andere: der Döner. Hör auf deinen Hunger, er wird dich zu ihm führen“, war in den Kinos zu hören. Der Berliner Medieninformatiker Turhan Gülveren hat den Spot gemacht. „Das war eine Reaktion auf die heftigen Berichte über schlechtes Fleisch. Die Idee war, das saubere Image wiederherzustellen. Der Döner ist ein Produkt, Produkte brauchen Werbung.“

Werbung aber hilft auch nicht immer. 2010 eröffnete das erste Bubbleteageschäft in Berlin. Dann ging 2012 die Meldung von möglichen Giftstoffen durch die Medien. Geschäfte, die das Getränk in Berlin verkauften, gingen pleite. Der Döner aber hat seinen Fleischskandal überstanden. Seit 40 Jahren ist er jetzt auf dem Markt. Einen weiteren Spot hielt der Verein der Dönerhersteller bis jetzt nicht für nötig.

Auch das Image entscheidet

„Mächtiger als jeder andere: der Döner. Hör auf deinen Hunger, er wird dich zu ihm führen“

KINOWERBUNG FÜR DEN DÖNER NACH DEM SKANDAL UMS EKELFLEISCH

Die Konkurrenz machen sich die Döneranbieter gegenseitig. Kaplan ist gut im Geschäft, er verkauft nicht nur hier, sondern auch nach Dubai, Kuwait und Pakistan. In Berlin hat er sechs Filialen. „Preismäßig“, sagt er, „geht unter 3 Euro nichts. Es ist ja alles teurer geworden, Strom, Benzin, jetzt kommt der Mindestlohn.“ Wer da den Döner für 2 Euro rausblase, mache kein gutes Geschäft. Oder er spare: am Fleisch, am Salat.

Qualität, damit müsse der Döner punkten, sagt Yunus Ulusoy. Durch die vielen Anbieter sei der Dönermarkt in sich hart umkämpft. Und: „Der interne Markt selbst ist viel stärker verantwortlich für Veränderungen. Heute gibt es eine qualitative Dynamik. Diejenigen setzen sich durch, die nicht nur den Erwartungen an den Geschmack entsprechen, sondern auch ans Ambiente.“

„Ich habe mit 5-Euro-Shirts angefangen“, sagt Kaplan, „heute tragen die Mitarbeiter Shirts für 50 Euro.“ Nicht mehr nur Theke und Vitrine, die Imbissbude verändert sich: neue Geräte, neues Personal, modernere Ladeneinrichtung. Der Döner aber verändert sich nicht, das ist Kaplan wichtig. „Auch Gemüsedöner ist Döner. In der Box oder Dürum – das ist auch Döner.“ Für ihn gibt es nur „Neuerungen“. Aber die braucht es, um im Geschäft zu bleiben. „Wenn sie zehn Jahre zurückgehen, da gab es nur Knoblauchsoße. Heute gibt es Currysoße, Chilisoße, auch mehr Salat, Eisberg, Rotkohl, Weißkraut, Tomaten und Zwiebeln.“ Der Döner ist variabel geworden, die klassische Fladenfüllung aus Fleisch, Salat, und Soße wurde bunter.

Wichtiger geworden ist das Image. Und was die Kunden erwarten. Kaplan hat eine Befragung in seinen Filialen gemacht. Das Ergebnis: Seit diesem Jahr verkauft er an seinen Theken tiefgekühltes Dönerfleisch zum Selbstbraten in der heimischen Pfanne. Und er hat einen weiteren Plan: einen Döner-Drive-in. Falafel, Nudelboxen, Burger – Kaplan sagt: „Der Döner kennt keine Konkurrenz.“