: Im Fußball-Tangoschritt durch Berlin
Noelia und Sergio sind aus Argentinien zur WM gekommen. Sie tanzen Tango auf der Straße, um Geld für ihre Reise zu sammeln. Die Fußball-Euphorie, die sie wie alle anderen Besucher in den letzten Wochen mitgerissen hat, neigt sich dem Ende zu – was auch ihr Geldspenden-Hut zu spüren bekommt
VON NADJA DUMOUCHEL
Der schwarze Lack der Tanzschuhe glänzt in der Sonne. Die dunkle elegante Kleidung des eng umschlungenen Tanzpaares ist ein Blickfang an diesem heißen Tag. Einige Passanten bleiben bei ihnen kurz vor dem Brandenburger Tor stehen, verwundert über so viel Nähe auf offener Straße. Geschmeidig gleiten die Füße der Tänzer dicht über den Boden. Aus dem Verstärker, ein paar Meter von ihnen entfernt, tönt kratzige Tangomusik.
„Meistens erkennen die Passanten nicht, dass wir Tango tanzen. Deswegen haben wir normalerweise eine argentinische Flagge dabei“, sagt Sergio Omar Salinas. Heute haben der 24-jährige Argentinier und seine zwei Jahre jüngere Freundin Noelia Milagros Riollo die Fahne aber vergessen. Sie sind seit fünf Tagen in Berlin unterwegs. So wie bereits in Leipzig und Stuttgart tanzen sie auf der Straße, um Geld für ihre Weiterreise durch das WM-Land zu verdienen. „Wir haben das Spiel Argentinien gegen Mexiko im Stadion gesehen. Das war toll“, sagt Sergio. Die Karten haben sie durch einen glücklichen Zufall bekommen: „Wir hatten gehört, dass der Präsident des argentinischen Fußballbundes an dem Tag in einem Hotel in Leipzig untergebracht war und noch Tickets für das Spiel verteilte. Wir waren unter den Ersten und wenigen, die eins bekommen haben“, freuen sich beide.
Weniger erfreulich fand das fußballbegeisterte Paar Argentiniens Ausscheiden aus der WM gegen Deutschland: „Die Mannschaft hat sehr schlecht gespielt. Sie haben nicht das Notwendige getan, um zu gewinnen. Aber es ist ja nur ein Spiel“, sagt Sergio ernst.
Als sie wiederum Deutschlands Niederlage vor ein paar Tagen in einer Lichterfelder Kneipe verfolgten, waren sie die Einzigen, die nach Ende des Spieles in dem Lokal übrig blieben. „Wir waren in den letzten Wochen überrascht von den Leuten hier. Wir dachten, die Deutschen seien eher kalt. Aber sie haben uns ein anderes Gesicht gezeigt, indem sie richtig gefeiert und ihre Fahnen rausgeholt haben“, sagt Noelia. Jetzt wo die deutsche Mannschaft raus ist und die WM zu Ende geht, sind sie beide gespannt, ob die Deutschen fröhlich bleiben.
Heute haben die Berliner aber wenig Freundlichkeit übrig für die Tänzer. Nicht einmal ein paar Münzen werfen sie in den Hut auf dem Bürgersteig. In Berlin sei es schwerer als in anderen Städten, Geld zu verdienen, weil es kaum Fußgängerzonen gebe, meinen sie. Sie ziehen von einem Touristenpunkt zum Nächsten: Brandenburger Tor, Museumsinsel, Hackescher Markt. Dabei treffen immer wieder andere Südamerikaner. Dann wird Noelia mit einem Kuss auf der Wange begrüßt, Sergio schüttelt freundschaftlich Hände.
Einige treffen sie nicht zum ersten Mal. Es sind Kollegen, Straßenkünstler. Die gut gelaunten jungen Menschen tauschen sich darüber aus, welche Orte sie bereits bespielt haben und wie ihre Reise weitergeht. Kontakte zu knüpfen sei ihnen das Wichtigste bei ihrem Besuch in Deutschland, sind sich Noelia und Sergio einig. „Das Schöne am Tanzen auf der Straße ist, dass du immer neue Leute kennen lernst“, sagt Noelia und strahlt über das ganze Gesicht. So ist das schwarze Adressbuch, das ihr Freund nach jedem Treffen aus seiner Tasche holt, um die neuen Freunde um ihre E-Mail-Adresse zu bitten, im Laufe der letzten Wochen immer voller geworden.
Einer Gruppe Musiker aus Argentinien, die sie auf der Straße Unter den Linden antreffen, haben Noelia und Sergio zu verdanken, dass sie jetzt zu Hause berühmt sind. Denn die Band, die elektronischen Tango spielt, hatte sie bei ihrer ersten Begegnung spontan aufgefordert, zu ihrer Musik zu tanzen. Dabei wurden sie von einem argentinischen Sportsender gefilmt. Nun läuft das Bild vom tanzenden Paar bei jeder WM-Abmoderation im argentinischen Fernsehen.
In ihrer Heimatstadt La Consulta in der Provinz Mendoza tanzen Noelia und Sergio bereits seit fünf Jahren zusammen Tango. Sie arbeiten aber auch in anderen Bereichen. Zum Beispiel in der Tourismusbranche. „In Argentinien muss man von vielen verschiedenen Einnahmequellen leben“, erzählt Noelia. Für die Flugtickets nach Deutschland haben sie ihre ganzen Ersparnisse zusammengetragen. „Der Grund unserer Reise sind aber Einladungen von deutschen Touristen, die wir in Argentinien durch unseren Job als Reiseführer kennen gelernt haben“, sagt Sergio. Zur WM haben sie in ganz Deutschland so viele Einladungen bekommen, dass sie in jeder Stadt unterkommen, ohne ein Hotel bezahlen zu müssen.
In Berlin wohnen sie bei einem Paar in Lichterfelde. Das Viertel alleine ist schon größer als ihre eigene Stadt, in der nur etwa 10.000 Menschen leben. Berlin kommt ihnen dementsprechend gigantisch vor. „Die Fanmeile in Berlin ist riesig“, findet Noelia und erzählt, wie sie auf dem kleineren Fanplatz in Leipzig nach dem argentinischen Sieg zusammen mit Fans aus der ganzen Welt ihren Sieg bejubelte. Jetzt gleicht die Partystrecke in Berlin eher einem verlassenen Rummelplatz.
Bis zum Finale bleiben die Tangotänzer noch in Berlin. Jetzt, wo ihr zweiter Favorit Portugal nicht mehr Weltmeister werden kann, sind sie für Frankreich. „Die spielen schönen Fußball“, findet Sergio. Bis zum Anpfiff am Sonntagabend bleibt ihnen noch ein bisschen Zeit, um Geld für ihre Weiterreise nach München zu sammeln. Sie tanzen wieder vor dem großen Fußball am Brandenburger Tor, nachdem die anderen touristischen Orte sich als unrentabel erwiesen haben. Dabei behalten sie Lächeln und Anmut, obwohl sie schon seit Stunden in der prallen Sonne tanzen. Zwischendurch legen sie Pausen ein und fordern ihre Zuschauer auf, mit ihnen zu tanzen. Deren Turnschuhe und kurzen Hosen stehen im Kontrast zu den feinen Lackschuhen der Tangotänzer, auf die sie als ungeübte Tänzer immer wieder tollpatschig treten.