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Archiv-Artikel

„Manchmal etwas pokern“

Wenn am Sonntag in Berlin das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft läuft, entscheidet Fußball-Regisseur Wolfgang Straub, welche Bilder die Fernsehzuschauer zu sehen bekommen

INTERVIEW PEER SCHADER

taz: Herr Straub, wie behalten Sie den Überblick, wenn Sie vor 50 Monitoren sitzen und Bilder aus 26 Kameraperspektiven auswählen müssen?

Wolfgang Straub: Man weiß aus Erfahrung, welche Kameras für das laufende Spiel relevant sind. Wenn der Ball rollt, sind das etwa sechs. Sobald das Spiel zu einer Unterbrechung kommt, setzt man auch die anderen ein. Viele Kameras haben sehr spezielle Aufgaben: Zwei sind immer auf die Trainer gerichtet, zwei andere beobachten einzelne Spieler. Es gibt die Krankameras hinter dem Tor, bei denen ich weiß, dass sie immer dieselbe Einstellung liefern, wenn ich sie brauche. Das kann man dann fast blind bedienen.

Was ist bei der WM anders als bei Bundesliga-Spielen, die Sie sonst verantworten?

Der Aufwand ist um einiges höher. Bei Bundesliga-Spielen sind vielleicht acht Kameras im Einsatz, höchstens zehn. Jetzt sind es mehr als doppelt so viele.

Heißt das, man kann keine Szene mehr verpassen?

Es ist unmöglich, alles mitzukriegen, was am Rande des Spiels passiert. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn man 200 Kameras im Stadion hätte. Dazu muss der Regisseur viel zu sehr aufs Spielgeschehen achten. Manchmal passiert nach dem Abpfiff etwas, wie die Rangelei nach dem Spiel Deutschland gegen Argentinien, das man nicht immer gleich einfangen kann, wenn man die jubelnden Spieler zeigen will. Im Spiel direkt ist unseren Teams aber noch nichts Wichtiges entgangen.

Welche Vorgaben gilt es für die Regie einzuhalten?

Sobald der Ball rollt, sollte man mit dem Kameras im Livegeschehen auf dem Platz sein. Dabei spielt die Führungskamera auf der Hauptplattform eine wichtige Rolle. Die ist jedem Fußballfan weltweit geläufig und bietet durch ihre seitlich erhöhte Position eine einfache aussagekräftige Orientierung. Das kommt den Sehgewohnheiten der Zuschauer entgegen, die weltweit ja überall verschieden sind.

Gibt es auch Bilder, die Sie nicht zeigen dürfen?

Natürlich muss man auf bestimmte Grenzen Rücksicht nehmen. Bei Spielen der iranischen Mannschaft sollte man zum Beispiel keine alten Nationalflaggen zeigen. Und in vielen islamischen Ländern sind halbnackte Frauen im Bild nicht gerne gesehen. Das gibt sofort Beschwerden. Wichtig ist auch, nur Prominente auf der Tribüne zu zeigen, die wirklich jeder kennt – sonst hat womöglich mancher Kommentator ein Problem, weil er nicht weiß, wer da eingeblendet ist. Beim spanischen Prinzen tun sich viele schon schwer.

Wie oft dürfen Sie die Fans einblenden?

Es gibt keine feste Regel. Aber natürlich sollte es ausgewogen sein, damit keine Seite das Gefühl hat, vernachlässigt zu sein. Zehnmal Klinsmann oder nur deutsche Fans – das geht nicht.

Wann sind Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden und sagen: Das war ein gutes Spiel?

Wenn mein Team und ich alle wichtigen Szenen im Bild aufgelöst haben: Abseits-Situationen, Fouls, Tore. Aber auch die Reaktionen und Emotionen der Zuschauer sind wichtig. Das gewinnt immer mehr an Bedeutung. Mit der neuen Technik kommt man im Vergleich zu früher viel näher ran an die Menschen im Stadion: an ihren Ärger und ihre Freude.

Ist Fußball emotionaler geworden?

Es gehört einfach dazu, die Reaktion des Trainers zu zeigen, wenn ein Spieler nur knapp am Tor vorbeigeschossen hat, oder Frau Merkel, wie sie Herrn Beckenbauer nach dem entscheidenden Elfmeter umarmt. Das wollen die Leute sehen, damit kann jeder etwas anfangen und das hat einen hohen Unterhaltungswert.

Haben Sie auch so eine Liste wie Jens Lehmann, auf der steht, welche Spieler Sie im Auge behalten müssen?

Nein, keine Liste. Man schaut sich die Spieler vor Beginn der ersten Halbzeit genau an, am besten schon, wenn sie aus dem Bus steigen. Nachher weiß man ja, dass man besonders auf Spieler wie Ronaldo, Ballack oder Beckham zu achten hat.

Sind Sie auch für die Zeitlupen zuständig?

Nicht direkt. Die Zeitlupen kommen von meinem Slowmotion-Regisseur Georg Alberts, der mir die Blöcke in Spielunterbrechungen einspielt. Wenn ich sehe, dass ein Eckball schneller ausgeführt wird als erwartet, muss ich die Zeitlupe notfalls abbrechen – aber das ist bisher nur ein einziges Mal passiert. Manchmal muss man eben auch ein bisschen pokern.

Fühlt man sich geehrt, im Endspiel Regie zu führen?

Man ist vor allem überrascht, wenn man gefragt wird. Erst hieß erst ja nur, dass ich die Spiele in Leipzig und Berlin betreuen soll – da war mir noch gar nicht richtig bewusst, dass da auch das Endspiel dabei ist.

Sind Sie aufgeregt, für die Bilder verantwortlich zu sein, die an hunderte Millionen Menschen gesendet werden?

Ich bin sehr früh an meinem Platz, anderthalb Stunden vor dem Spiel. Das ist dann der ruhigste Platz im ganzen Stadion. Die Klimaanlagen laufen und ich kann mich konzentrieren. Aufgeregt bin ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, dazu steckt man zu sehr in den Vorbereitungen. Ich bin bloß froh, wenn die Mannschaften endlich aufs Spielfeld kommen und es losgeht. Nach dem Spiel bleibe ich erst einmal ein paar Minuten sitzen, um abzuschalten. Zur Belohnung gibt es am Schluss ein Bier.