: Leben unter Seinesgleichen
INNENSTADT Die Ausstellung „Mit dem Townhouse leben“ in der Kreuzberger Galerie Kai Hölzner untersucht die Umstrukturierung des städtischen Wohnungsbaus seit 1980
■ Eine längere Fassung dieses Texts erscheint in der Broschüre zur Ausstellung „Mit dem Townhouse leben“.
■ Die Informationsausstellung wurde von unseren Autoren Dominikus Müller und Kito Nedo organisiert. Galerie Kai Hoelzner, Adalbertstr. 96 (Balkon), Kreuzberg, bis 21. August, www.kaihoelzner.de
■ Öffnungszeiten: Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 14–18 Uhr
VON ROBERT BURGHARDT
Das Townhouse ist ein Vermarktungsmodell für das gehobene Segment des innerstädtischen Immobilienmarkts. Townhouses sollen „urbanes Wohnen“ und das Prinzip Eigenheim miteinander verbinden. Formal handelt es sich dabei um ein verdichtetes Reihenhaus in einem innerstädtischen Kontext.
Interessanter ist das Townhouse jedoch in seiner Funktion als ideologische Stadtfigur. Es ist nicht nur eine bequeme Wohnform, sondern wurde von der Berliner Politik und Stadtplanung zu einem strategischen Baustein für die „Renaissance der Bürgerstadt“ erklärt. Dabei wird die Übereinstimmung von Eigentümer und Nutzer als Garant für Kleinteiligkeit und eine dezentral gesteuerte Stadt verstanden. „In dem Moment, in dem auch der normale Bürger innerstädtische Parzellen bebauen kann, wäre das Zentrum nicht mehr Staats- oder Großinvestoren-Angelegenheit, sondern Bürgersache,“ schreibt der Journalist und Achtundsechziger Klaus Hartung im Tagesspiegel. Als Nutzungskonzept für umkämpfte urbane Orte wird die Eigentumsstruktur des Mittelstands gegen „Investorenträume“ oder „Shoppingmalls“ in Stellung gebracht.
Von der IBA zum Townhouse
Die geistigen Väter der Berliner Townhouse-Bewegung kommen nicht selten aus einer Stadtentwicklungspolitik in der Tradition von 1968, deren Vertreter in den 1980er-Jahren an der Durchführung der Internationalen Bauausstellung (IBA) beteiligt waren und auf deren Agenda unter anderem eine Demokratisierung der Stadtplanung durch mehr Teilhabe der Bürger stand. Dazu gehören etwa der ehemalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann und der Architekturkritiker und Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm. Sie haben das „Planwerk Innenstadt“ als städtebaulichen Rahmenplan seit den späten 1990er-Jahren konzeptioniert. Sie gelten als Vordenker und Initiatoren der ab 2005 errichteten Townhouses am Friedrichswerder, Berlins Vorzeigeprojekt in Sachen Townhouse. Die intellektuelle Begründung des Townhouses ist in der Wiederentdeckung der historischen Stadt und den Enttäuschungen der Moderne zu suchen, die mit der IBA in den 1980er-Jahren einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung markierte. Dabei spielte vor allem auch eine historische Analyse Kreuzbergs eine Rolle.
Die städtischen Phänomene Kreuzbergs verdichteten sich im Begriff der „Kreuzberger Mischung“ zu einer Antithese zur Stadt der architektonischen Moderne. Kern jener „Kreuzberger Mischung“ ist die Mischung von Arbeit und Wohnen in seiner funktionalen, aber auch subjektiven Nähe: Arbeiter oder Handwerker wohnten in unmittelbarer Umgebung ihrer Arbeitsplätze – entweder in dem zur Hinterhoffabrik gehörenden Vorderhaus, oder im Falle der ärmsten Handwerker unter dem Nähtisch. Aber nicht nur Nutzungen, sondern auch Milieus lebten hier in räumlicher Nähe: Bürger, Kleinbürger, Handwerker und Arbeiter, eingesessene Berliner und Migranten.
Das Ideal der Parzelle
Als ideale Funktionseinheit dieser Mischung identifiziert Hoffmann-Axthelm die Parzelle als eine Einheit, in der alle Elemente der Stadt bereits angelegt sind: Arbeiten, Wohnen, Vergnügen oder Handel. Er beschreibt die Parzelle als den „Taktgeber des Stadtzusammenhangs“, als technisches Prinzip, das die klassische moderne Großsiedlung ablösen wird. Historisch verortet Hoffmann-Axthelm die Auflösung der Parzelle in der „Enteignung des Kleinbürgertums“ und in „den Auflösungen funktionaler Verschränkungen“ sowie „des liberalen Baurechts (und der von ihm eingeräumten Anteile an sozialer und ästhetischer Autonomie)“. Diese Entwicklung fällt für ihn mit dem autoritären Gesicht der Moderne zusammen.
Wider die Stadtfeindschaft
Die „Kreuzberger Mischung“ steht demnach für das Städtische schlechthin: Differenz, Mannigfaltigkeit und Dichte. Demgegenüber sieht Hoffmann-Axthelm alle stadtfeindlichen Momente in der architektonischen Moderne zusammengefasst: ob als Gartenstadt, Suburbia oder als völkische Nazi-Siedlung, als Großstruktur im Grünen wie in Le Corbusiers „Ville Radieuse“, oder nach der Maßgabe des „Jeder auf seiner eigenen Scholle“, wie in Frank Lloyd Wrights „Broadacre City“. Diese in architektonische Modelle übersetzte „Stadtfeindschaft“ kann als Ausdruck des Bedürfnisses verstanden werden, Konflikten aus dem Weg zu gehen: unter Seinesgleichen, auf Abstand und möglichst stressfrei, also ruhig und mit genug Platz, um ungestört zu wohnen.
Das erste moderne Townhouse wurde in Berlin Anfang der 1980er-Jahre im Rahmen der IBA an der Schöneberger Lützowstraße realisiert. Entlang von zwei Stichstraßen wurden 1984 unter anderem von Manfred Schiedhelm, Gerkan, Marg und Partner sowie Otto Steidle vier Reihen von Stadthäusern errichtet, die mit einem Torgebäude von der Straße abgeschirmt sind. Wenn man diese Siedlung jedoch heute besucht, fühlt es sich nicht nach einem exklusiven Wohnprojekt an, sondern eher nach den „Mews“ in London – kleinen Hofstraßen, an denen zumeist Stallgebäude lagen –, nur dass hier das Prinzip umgekehrt wurde: Im Vorderhaus zur Straße wurden keine bürgerlichen, repräsentativen Wohnungen errichtet, in deren Hof der Fuhrknecht hauste, sondern öffentlich geförderte Sozialwohnungen im Geschosswohnungsbau.
Das Projekt hatte damals nur mäßigen Erfolg. Die Häuser waren teuer, und verkauften sich nur langsam. Die Lützowstraße lag damals wie heute in einem durch Kriegszerstörung sehr fragmentierten Stadtteil, der seine Funktion als bürgerliches Wohnquartier eingebüßt hatte. Wer damals so viel Geld für sein Haus ausgeben konnte, der zog doch eher an die Havel oder nach Zehlendorf. Heute entstehen Townhouses in zwei verschiedenen Lagen, einmal zentral, als exklusive Immobilie, das andere Mal in Innenstadtrandlagen als Reihenhaus für junge Familien. In beiden Fällen ist die Bewohnerstruktur meist homogen.
Eine soziale oder kulturelle „Durchmischung“ kommt höchstens dadurch zustande, dass dort, wo Townhouses gebaut werden, zuvor kaum Eigenheimbesitzer gelebt haben. Im Hotspot der Townhouse-Bewegung, in Prenzlauer Berg, ist das Townhouse jedoch lediglich die Zuspitzung einer dort seit 20 Jahren zu beobachtenden Entwicklung: der Ansiedlung einer bürgerlichen Mittelschicht mit Kinderwunsch und dem Bedürfnis, unter ihresgleichen zu leben.
Städtebauliche Konsequenzen
Wo die Figur des Townhouses städtische Teilhabe suggeriert („Die Bürger bauen ihre Stadt“), funktioniert sie praktisch als Privatisierungsmodell. In Zeiten knapper Stadtkassen sind die Gelder, die durch den Verkauf zentraler Flächen erwirtschaftet werden können, willkommene Mehreinnahmen. So freut sich beispielsweise der ehemalige Finanzsenator Thilo Sarrazin über die Vorschläge, das Marx-Engels-Forum und die Freifläche vor dem Berliner Fernsehturm mit Townhouses zu bebauen: „Das kostet den Haushalt kein Geld, sondern würde ihm etwas bringen.“ Schließlich handele es sich um „extrem wertvolles Bauland“. Dabei erfüllt die Parzelle, auf der ein Townhouse gebaut wurde, gerade nicht die Rolle des Taktgebers für die Stadt, wie Hoffmann-Axthelm es sich zu Zeiten der IBA gewünscht hat: sie ist weniger Durchmischer von Funktionen, Klassen und Identitäten, sondern etabliert vielmehr das Modell eines frühkapitalistischen Renaissancepalasts. Die Townhouse-Parzelle öffnet sich nur nach innen, in den Block, und schließt sich nach außen hin ab. Auf dem Friedrichswerder in Mitte haben sich die Bewohner zumeist dafür entschieden, im Erdgeschoss Garagen und massive geschlossene Eingangstüren zu bauen. In anderen Fällen sind die Projektentwickler nicht einmal davor zurückgeschreckt, ihren Townhouse-Siedlungen das hässliche Gesicht einer Gated Community zu verpassen.
Innerstädtische Wohlstandsenklaven
Es ist zu bezweifeln, dass das Townhouse für eine Renaissance der Stadt sorgen wird. Vielmehr verpflanzt es das Bedürfnis nach Ruhe, eigenem Garten und einem Leben unter Seinesgleichen vom Land und dem Stadtrand in das Herz der Stadt. Nicht die Stadt (hier verstanden als Chiffre für Heterogenität und als Ort der Reibung) profitiert vom Townhouse, sondern die Bewohner des Townhouses profitieren von der Stadt. Das Townhouse überwindet die „Stadtfeindlichkeit“ nicht, sondern findet eine neue Form für sie: Anstelle der modernen Utopie des Wohnens mit Licht, Luft und Sonne für alle (und der daraus resultierenden Auflösung der Stadt) bietet das Townhouse dieses für ein sich neu formierendes Bürgertum, das in die unter anderem durch den Niedergang des sozialen Wohnungsbaus entstandenen Lücken vorstößt und neue Wohlstandsenklaven in der Stadt schafft.
In dem Versuch, Kleinteiligkeit und bürgerschaftliches Engagement in Deckungsgleichheit zu bringen, tritt der Mythos des Mittelstands als Träger eines guten, gesunden, kleinteiligen und lokalen Kapitalismus, der als Gegenmodell zum globalisierten Heuschreckenkapitalismus auftritt, zutage. Das Familienunternehmen gilt diesem als Kern und Träger deutscher Wirtschaft und Kultur und wird im Fall Kreuzberg als „die überschaubare Lebenswelt freier Produzenten“ idealisiert.