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Archiv-Artikel

Golfen am Schlesischen Busch

Architektur wird Performance: Planung orientiert sich am Bedürfnis der Bewohner. Ein nobler Vorsatz, den raumlabor in Modelle übersetzt. Doch warum das alles in einem ehemaligen Wachturm stattfinden muss, weiß man nicht genau

Menschen, Fahrräder, Picknicks – nichts auf der Wiese erinnert mehr an der Grenze Da ist der Kunsthistoriker, der nachts Kontakt zu seinem Fahrrad sucht

VON FRIEDERIKE MEYER

Wer in den letzten Wochen die Puschkinallee stadtauswärts unterwegs war, muss sich gewundert haben. Am Rand der Parkanlage Schlesischer Busch, gleich hinter der Brücke, die Kreuzberg mit Treptow verbindet, steht ein Bauschild. „Besuchen Sie unser Planungsbüro und entwerfen Sie Ihr Einfamilienhaus.“ Außer dem Wachturm des ehemaligen Mauerstreifens ist nichts zu sehen. Doch seine Tür steht offen.

Eine schmale Feuerleiter führt nach oben in ein kleines Räumchen mit vielen Fenstern, durch das ein kühles Lüftchen weht. Zwei Arbeitstische passen gerade zwischen die weiß getünchten Wände. Daran sitzen zwei Männer und schneiden weiße Pappe in kleine Teile. Vor ihnen liegen Bleistiftskizzen, Modelle und Fragebögen: Was bedeutet für Sie Wohnen im Turm? Wie viel Zeit verbringen Sie zu Hause? Brauchen Sie einen Garten? Welche Badewannenform wäre die Richtige? Tatsächlich, hier werden Wünsche zu Ideen gemacht, mag man denken, hier entstehen Entwürfe für den Umbau des Turms.

Schnell allerdings wird klar, dass es sich um einen Spaß handelt, oder vielmehr um Kunst. Die beiden Männer, Francesco Apuzzo und Axel Timm, sind als Mitglieder der Berliner Architektengruppe raumlabor zwar richtige Architekten; den Turm, in dem sie sitzen, aber haben sie nur geliehen, für acht Wochen von der Kunstfabrik am Flutgraben, die auf der anderen Seite der Schlesischen Straße liegt.

Projektleiterin Svenja Moor von der Kunstfabrik betont den Stellenwert des Wachturms: „Von den ehemals 302 Beobachtungstürmen entlang des Berliner Mauerstreifens gibt es heute nur noch zwei: die ehemalige Führungsstelle am Kieler Eck und diesen hier.“ Nach der Sanierung des denkmalgeschützten Turms vor zwei Jahren hat die Kunstfabrik am Flutgraben mit dem Grünflächenamt des Bezirks einen Nutzungsvertrag geschlossen. Seither bespielt sie den Turm als eine Art Projektatelier, lädt Künstler ein, die zum Thema „Grenze“ arbeiten wollen. Außer dem steinernen Relikt mit den kleinen Fensterchen ist im Schlesischen Busch von der Grenze nichts mehr zu sehen. Menschen, Fahrräder und Picknickdecken lagern in der Parkanlage, als wäre nichts gewesen. Und nur wer Bescheid weiß, findet die abgesägten Eisenpfosten in der Wiese, die früher die Hinterlandmauer stützten.

„Es gab schon Leute, die haben den Turm für ein Klohaus gehalten“, sagt Moor, „viele wissen gar nicht, was das hier mal war.“ Deshalb hat der Verein eine Broschüre verfasst. Vom Turm am Schlesischen Busch aus wurden Signale an 18 weitere Wachtürme geleitet, ist darin zu lesen, und dass er als so genannte Führungsstelle im Vergleich zu anderen Beobachtungstürmen mit WC und Heizung ausgestattet war. Moor deutet auf eine Inschrift neben dem Eingang: LÜ 3/86 steht da und drunter: NÜ 3/91. „LÜ steht für letzte Überprüfung“, sagt sie, „so haben wir unsere Projektreihe genannt.“ Die Architekten von raumlabor sind die zweite Künstlergruppe, die dieses Jahr den Turm bespielt.

Der Ort habe sie gereizt, erklären Francesco Apuzzo und Axel Timm. Der ehemalige Grenzstreifen erinnerte sie an das Schicksal der Peripherie, die, wie etwa im Berliner Speckgürtel, mit Einfamilienhäusern übersät worden ist. Doch diese Erklärung über Peripherie und Stadt ist eigentlich überflüssig. Ging es den Architekten doch ganz offensichtlich darum, mit den Besuchern ins Gespräch über den Turm im Speziellen und Architektur im Allgemeinen zu kommen und nach ihren Wohnbedürfnissen zu forschen.

Erkenntnis hat es wohl vor allem ihnen selbst gebracht und es scheint, als hätten sie das Kunstprojekt als Akquise-Plattform benutzt. Denn das, was sie nun in ihrer Ausstellung im Turm präsentieren, ist ernüchternd und enttäuschend zugleich. Ein paar Modelle im Maßstab 1:33 nebst ausgefüllten Fragebögen sind zu sehen – eine Präsentation, wie sie Architekturstudenten im 2. Semester besser hinbekommen hätten. Selbst die Wünsche jener 25 Berliner, die laut Aussage von Axel Timm zu einer Beratung die Treppe hinauf in den Turm gestiegen waren, sind bescheiden und konventionell. Vier Zimmer, 100 Quadratmeter Wohnfläche und ein Garten auf dem Dach, so lautet die durchschnittliche Vorstellung vom Wohnen im Turm. Für manche bedeutet dies „was Besonderes, Aussicht und viel Licht“, für andere „Treppen steigen und runtergucken“.

Einige kuriose Präferenzen erfuhr man dann aber doch aus dem Mund der Architekten, wenn auch nur auf Anfrage: Da gibt es den Zahnarzt, der im Keller schlafen will, den Künstler, der die Außenwände des Turms als Präsentationsfläche für seine Bilder nutzen will und sein Geschäft auf dem Dach im begrünten Wintergarten verrichten würde. Da ist der Kunsthistoriker, der eine Eisenstange von seinem Bett durch die Wand nach draußen schieben möchte, um darüber im Schlaf Kontakt zu seinem parkenden Fahrrad zu halten und es vor Dieben zu schützen. Und da ist Herr Qpferdach, langjähriger Redakteur des Stadtmagazins tip. Ihm wäre der zwölf Meter hohe Wachturm nicht Aussicht genug. Elf Geschosse wünscht der Redakteur, mit Aufzug selbstverständlich, einer Tiefgarage und einem Kunstrasengolfabschlagplatz auf dem Dach.

Das Anliegen von raumlabor aber, mit „Wohnen im Turm“ auch die Geschichte der ehemaligen Grenze in der Nachwendezeit und wie die Leere wieder besetzt wurde, zu reflektieren, ist damit wenig berührt. Wo Architektur Performance werden will, geht eben nicht immer alles nach Plan.

Ausstellung „Wohnen im Turm“ im Wachturm am Schlesischen Busch, Treptow, Puschkinallee, bis 30. Juli, Do.–So. 14–19 Uhr