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Archiv-Artikel

„Arbeit und Entlohnung stehen in keiner Beziehung“

Wie lebt es sich mit der Unsicherheit? Herr B. arbeitete in leitender Position in einer Firma. Nach zweijähriger Arbeitslosigkeit ist er nun Freiberufler

taz: Herr B., Sie verdienen als Freischaffender gut. Wie gefällt Ihnen Ihre neue Beschäftigung?

B.: Neu im eigentlichen Sinne ist meine derzeitige Beschäftigung nicht: Ich mache nämlich nichts anderes als vorher. Nur, dass ich da eben arbeitslos war – und extrem wenig Geld zur Verfügung hatte. Für meine freie Tätigkeit habe ich mich beim Finanzamt als Selbstständiger angemeldet, schreibe Rechnungen, muss aber auch meine Krankenversicherung selbst abdecken. Immerhin: Es kommt wieder Geld rein.

Was verdienen Sie denn im Moment?

Zurzeit rechne ich etwas über 50 Euro pro Stunde ab und komme selten unter 400 Euro am Tag. Im Monat macht das – nach Steuern und Abgaben – 3.500 bis 4.000 Euro. Natürlich habe ich auch erhebliche Kosten, aber im Vergleich zu der Zeit, in der ich arbeitslos war, geht’s mir Gold. Das Arbeitslosengeld I reichte gerade mal, um die Wohnung und den Unterhalt für die Kinder zu bezahlen. Als ich dann kurzzeitig ALG II bekommen habe – rund 900 Euro Arbeitslosengeld inklusive Wohngeld – reichte es nicht mehr zum Leben. Ich habe das nur geschafft, weil ich Ersparnisse hatte. Vorher hatte ich ein Bruttogehalt von 3.000 Euro, was branchenüblich niedrig war.

Sie haben während Ihrer Arbeitslosigkeit so viel gearbeitet wie jetzt – aber für weniger Geld. Sehen Sie in Ihrem Berufsleben irgendeine Logik in der Höhe der Besoldung?

Nicht wirklich. Klar, der Arbeitgeber sagt, es sei für ihn günstiger, einen freien Mitarbeiter anzustellen, als jemanden fest anzustellen. Es heißt, ein Interner würde sich nach drei Jahren lohnen, ein Externer bereits nach zwei. Aber das ist eine Sichtweise von innen. Von außen betrachtet hat das Gehalt nichts mit der Arbeit zu tun, die ich anbiete.

Wie ergeben sich Ihrer Meinung nach diese riesigen Unterschiede zwischen verschiedenen Bezahlungen?

Eine Firma, die ein Produkt herstellt, das am Mark gefragt ist, kann die für die Herstellung notwendigen Leistungen zu hohen Preisen einkaufen. Es geht ganz offensichtlich nicht um die Frage einer gerechten Entlohnung, sondern darum, wie viel Geld das Unternehmen aufwenden kann und muss, um möglichst wirtschaftlich am Markt seine Produkte anbieten zu können.

Wie fühlt sich eine solche finanzielle Berg-und-Tal-Fahrt innerhalb von zwei Jahren an?

Es ist schon komisch, sich jetzt an die Ängste zu erinnern, die mich in den letzten Jahren oft befallen haben. Im Moment macht das schon Spaß: Ich habe eine interessante Tätigkeit, schreibe Rechnungen, auf denen hohe Zahlen stehen, muss auch Rücklagen bilden für die Steuer. Aber besonders, wenn ich einen halben Tag in einem langweiligen Meeting gesessen habe, staune ich doch über den hohen Stundensatz. Den bekomme ich für eine Tätigkeit, die ich vorher auch schon für erheblich weniger Geld geleistet habe. Es ist absurd, aber offensichtlich gibt es keine Beziehung zwischen der Intensität, mit der jemand arbeitet, und der Entlohnung, die man bekommt. Ich denke, dass eine Krankenschwester mindestens so viel Verantwortung trägt wie ich. Dafür erhält sie aber ein Bruchteil dessen, was mir gezahlt wird.

Apropos Freizeit: Haben Sie welche?

Klar, spätabends ist irgendwann Feierabend und meistens habe ich sonntags frei. Ansonsten kann ich mir, abhängig von den Anforderungen auf der Arbeit, Urlaub nehmen, so viel ich will – nur wird der nicht bezahlt.

INTERVIEW: RÜDIGER ROSSIG